Ein Mann fürs Grobe
Aber das ist doch Quatsch, junger Mann, da ist doch niemand. Ich lebe allein. Mein Mann ist seit dreißig Jahren tot.»
«Das war sicher eine richtige Entscheidung.»
«Wie...!?»
«Daß Sie nicht noch einmal geheiratet haben.»
«Ja, danke.» Sie holte einen Zehn- und einen Fünfmarkschein sowie zwei Markstücke aus der Tasche und hielt sie Mannhardt hin. «Der Rest ist für Sie.»
«O danke! Das ist ja fast die halbe Urlaubsreise nach Mallorca.» Der Fahrpreis hatte 16,80 DM betragen.
Mannhardt ging zum Wagen zurück und fragte sich, wann denn nun das große Abenteuer begann. Wann kam der Millionär, der eigentlich aus dem Leben scheiden wollte, doch von ihm am Suizid gehindert wurde und ihm als Dank dafür Schloß H ohen-Vietz schenkte? Wo blieb die Frau, die er mit einem Spontanfick auf dem Rücksitz von all ihren Qualen erlösen sollte? Wo der Talk-Show-Master, der so begeistert von ihm war, daß er ihn in seine Sendung holte? Wo der Mann, der Wuttkowskis Geld inzwischen ausgegeben hatte und neues brauchte?
Er fuhr den Falkentaler Steig und die Frohnauer Straße hinunter, bog dann zweimal rechts ab und kam über die Alemannenstraße zum Sigismundkorso, auf dem es so lebendig zuging wie auf dem Testbild eines Fernsehsenders. Über den Ludolfinger Platz und die Frohnauer Brücke, vorbei am «Reichelt», an Post, Johanneskirche, Buchhandlung «Haberland» und der «Berliner Bank», erreichte er den Halteplatz mit der Rufnummer 4 01 68 68 auf dem Zeltinger Platz. Zu seiner Überraschung stand keine andere Taxe da. Offensichtlich rechneten sich die Profis keine großen Chancen aus, abends von hier aus eine lohnende Fuhre in die Stadt zu bekommen. Pech für ihn, daß er nun niemand hatte, den er auf Wuttkowski ansprechen konnte. Jetzt hieß es warten.
Er machte es sich in seinem Wagen bequem, schaltete die Innenbeleuchtung ein und schlug sein Karl-May-Buch auf. Jedes Jahr im Sommer las er eines. Diesmal war Der Schut an der Reihe. Bis auf einige wenige – als da waren: Der Silberbauer, Der Wurzelsepp, Der Peitschenmüller und Der alte Dessauer – hatte er die Karl-May-Romane alle schon mindestens einmal gelesen. Er hatte sich bereits bis zu der Passage vorgearbeitet, wo der Köhler Scharka, ein übler Mörder und Serientäter, Kara ben Nemsi, Hadschi Halef, Osko und Omar in der Teufelsschlucht vernichten wollte. Auf Seite 99 belauschte Kara ben Nemsi gerade die Schurken, die Gefolgsleute des Schut waren, des größten aller Verbrecher zwischen Adria und Schwarzem Meer. Ungläubig las Mannhardt, was da über die Lage auf dem Balkan geschrieben stand:
«Jetzt gärt es überall. Man spricht nicht mehr von Räubern, sondern von Patrioten. Das Handwerk hat den politischen Turban aufgesetzt. Wer nach dem Besitz andrer trachtet, der gibt vor, sein Volk frei und unabhängig machen zu wollen.»
Karl May als politischer Hellseher. Mannhardt kam aber nicht mehr dazu, weiter über das Jetzt und Früher nachzudenken, denn in diesem Augenblick kam eine der attraktivsten Frauen, die er je gesehen hatte, über die Brücke gerannt und auf ihn zugeschossen. Sie war groß und schlank und total in schwarzes Leder gehüllt. Ihr Gesicht war zum Malen schön, gleichermaßen der Bericht über ein Leben voller Katastrophen und wie das Lächeln eines der reichen jungen Mädchen aus Denver oder Dallas. Mannhardt war sich sofort bewußt, daß er sie vor langen Jahren einmal auf der Leinwand gesehen hatte, in einer großen Glamourrolle, und jetzt vor kurzem wieder in einem winzig kleinen Auftritt in einer deutschen Seifenoper; nur auf ihren Namen kam er nicht. Sie riß die Tür rechts hinten auf und warf sich auf den Sitz.
«Nur weg von hier. Dieses spießige Frohnau! Die Deutschen sind alle Faschisten! Offen oder verkappt.»
Mannhardt beugte sich zur Seite, um seine Uhr einzuschalten. «Wo darf’s denn hingehen...?»
Sie nannte den Namen eines Hotels in der Innenstadt und schimpfte dann weiter. «Diese Autoren, diese Regisseure hier in Deutschland – alles Mittelmaß, zum Kotzen. Sie wollen die Medeia machen und begreifen gar nicht, was die Medeia ist, daß sie ihre Söhne nicht tötet, um sich an Iason zu rächen, sondern weil sie eine psychisch kranke Frau ist, die Iason auf dem Gewissen hat. Er hat sie doch verlassen, er hat sich doch mit Glauke eingelassen. Man muß doch die Verletzung dieser Frau in den Mittelpunkt stellen. Aber mit den deutschen Männern kann man ja nicht reden. Es gibt keine Salons mehr in
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