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Ein Mann fürs Grobe

Ein Mann fürs Grobe

Titel: Ein Mann fürs Grobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky
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man seine Leiche nur noch nicht gefunden hat...»
    Der Mann am anderen Ende der Leitung zögerte. «Er hatte meines Wissens schon vor zehn Jahren einen Suicid hinter sich. Mit Tabletten. Midlife-crisis wohl.»
    «Ah, ja...» Heike Hunholz notierte das mit einer gedanklichen Fußnote folgenden Inhalts: Warum stößt er mich so direkt darauf? Soll die Selbstmordthese vom möglichen Mord ablenken? «Zum Selbstmord nach Berlin — keine schlechte Überschrift. Bliebe natürlich auch da die Frage: Wo ist die Leiche geblieben? Und sie stellt sich natürlich noch viel intensiver als bei einem Mord, denn ein Selbstmörder kann sich anschließend wohl kaum selber zerstückeln, vergraben oder im Säurebad entsorgen.»
    Der Geschäftsführer meinte, daß ihm das zu makaber sei und er jetzt zu arbeiten habe.
    «Dann will ich Sie nicht weiter... Herzlichen Dank auf alle Fälle...» Sie legte auf und verfluchte die Tatsache, nun junge Mutter zu sein, denn ohne den Papst am Hals hätte sie schnurstracks ins Hotel «Spreeathen» fahren und das Personal nach Dr. Witt befragen können. So aber mußte sie warten, bis Mannhardt wieder zu Hause war oder sie eine Babysitterin aufgetrieben hatte. Nach knapp einstündiger Suche fand sich eine Nachbarin namens Petra, deren Sohn Moritz so ausgezeichnet geraten war, daß man ihr auch den Papst anvertrauen konnte. Sie konnte also losziehen.
    Als sie den Rand des Tiergartens in ihrem alten Golf erreicht hatte, schlugen die Glocken ringsum schon zwölf. Die Parkplatzsuche dauerte dann über eine Viertelstunde, doch sie nahm es als gerechte Strafe gelassen hin, denn als echte Altgrüne hätte sie natürlich die Pflicht gehabt, mit Bahn und Bus zu fahren. Das Besondere am Hotel «Spreeathen» war die Tatsache, daß es so aussah wie alle anderen seiner Preisklasse.
    Sie betrat die Halle, sah sich um und versuchte zu realisieren, daß Sabine Becker-Bornschein und Dr. Wolfram Witt genau auf demselben Quadratmeter braun-gelb gemuschelter Auslegeware gestanden haben mochten, vielleicht nur wenige Stunden, bevor sie gestorben waren. Ob da irgendein diffuses Gefühl in ihnen gewesen war, die dunkle Vorahnung ihres Todes? Fühlten Lebewesen so etwas? Kaum hatte sie sich diesen Gedanken bewußt gemacht, da hörte sie es schon wie bei einer Schizophrenen: Du wirst die Nächste sein. Natürlich war das totaler Quatsch, aber dennoch... Sie dachte an das, was sie einmal in einem Artikel über die neuesten Esoterik-Trends geschrieben hatte: Präkognition (paranormales Wissen um zukünftige Ereignisse) heißt, anzunehmen, daß alles Geschehen bereits existiert und der Eindruck von Zeit für uns nur dadurch entsteht, daß wir es schrittweise erfahren. Danach stand ihr Tod schon fest, und sie erfuhr bzw. erlitt ihn auf alle Fälle so, wie er im Buch des Lebens festgeschrieben war, was immer sie tat. Denn alles, was sie tat, war ja ebenfalls bereits geschehen und wurde nur noch nacherlebt. Die Möglichkeit des freien Willens war demnach völlig ausgeschlossen. Ergo: Wenn ihr Tod an diesem Tag schon definitiv festgelegt war, dann war es durchaus logisch, daß ihr Organismus ihn längst instinktiv wahrgenommen hatte.
    «Sie wünschen bitte?»
    Heike Hunholz zuckte zusammen. Fast autistisch, gefangen im Kokon ihrer Gedanken, war sie an die Rezeption getreten. «Ah, ich...» Für Bruchteile von Sekunden wußte sie nicht mehr, wo sie war und was sie eigentlich an dieser Stelle wollte. Als würde das ihr Gehirn wieder funktionsfähig machen, schlug sie sich mit der flachen Hand, sich damit gleichsam auch entschuldigend, gegen die Stirn. «Ich hätte gern Dr. Witt aus Hannover gesprochen...»
    «Einen Augenblick bitte...» Der Empfangschef des «Spreeathen» – wie man diese Angestellten im Hotelgewerbe offiziell nannte, wußte sie nicht – sah erst auf einer Liste nach und zog dann seinen Computer zu Rate. «Tut mir leid, ein Herr Dr. Witt ist nicht bei uns zu Gast.»
    Das war natürlich klar, und ihre Überraschung schien ihr nicht sehr gut gespielt. «Wie... ? Er hat mir doch aber... Könnten Sie mir vielleicht sagen, wann er abgereist ist.»
    «Nur, was die letzten Wochen betrifft...» Der Empfangschef klickte sich mit seiner Maus durch etliche Fenster, die nacheinander auf seinem Bildschirm sichtbar wurden.
    Sie hatte Zeit, den Mann zu mustern. Dreißig mochte er sein und wirkte fast klischeehaft smart und clever. Früher hatte man solche Typen als halbseiden bezeichnet. Sie saßen beim Boxen in der Nähe des

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