Ein Mann fürs Grobe
erwischt, der zwar in Berlin nicht mehr so vorherrschend war wie noch vor zwanzig Jahren, dazu saßen zu viele Studenten, fertige Akademiker, Ausländer und Frauen auf dem Bock, dem man aber doch hin und wieder noch begegnen konnte. Mufflig war er, besserwisserisch, fuhr einen barbarischen Stil und hatte etwas gegen Ausländer, Intellektuelle und alle, die nicht seiner Meinung waren. Schon als Mannhardt sein Fahrziel nannte, begann er zu meckern.
«Was’n: so spät abends noch in die Zone?»
«Ob da in Lehnitz ‹Zone30› ist, weiß ich nicht, aber wir müssen ja nicht rasen, ich komm noch früh genug zum Rendezvous.»
«Ich wollt gerade Feierabend machen, ich wohn in Lichtenrade unten.» Mannhardt unterließ es, das Wort «Beförderungspflicht» fallenzulassen, und fand, daß er den Mann am besten ärgern konnte, wenn er alles überhörte. Andererseits: Die Fahrt mochte an die siebzig Mark kosten, und die wiederum gönnte er dem alten Stinkstiebel nicht. Schön, das mußte er nicht aus der eigenen Tasche bezahlen, aber dennoch ... Sein preußisches Gewissen meldete sich zu Wort, und er hörte seine innere Stimme nur allzu deutlich: Wenn es eine dienstliche Fahrt sein soll, dann mußt du aber auch arbeiten für: also frag den Mann was zum Taxifahrermord.
Der Fahrer kam ihm zuvor. «Wo soll’n das in Lehnitz sein?»
«Ach, Gott...» Mannhardt hatte die genaue Adresse schon wieder vergessen. Seine Psyche wollte das wohl alles verdrängen. Wie ja die ganzen letzten Jahre über. «Das Hotel heißt ‹Heiderose›, die Straße hab ich vergessen. Irgend etwas mit einem Tier. Müssen wir mal fragen, wenn wir da sind.»
«Solche Fahrten hab ich gerne», brummte der Mann mit der Hindenburg-Bürste. «...’ne einsame Straße außerhalb Berlins, und dann...»
«Halten Sie mich für einen Taxiräuber?» fragte Mannhardt.
«Heutzutage kann man keinem mehr trauen. Und ins Herz sehen schon lange nicht. Und den Mörder von Wolfgang Wuttkowski, den haben sie ja immer noch nicht. Die Polizei stellt sich ja auch so was von dämlich an. Mit dem Urin da – haben Sie das mitgekriegt.»
Nicht nur mit –, wollte Mannhardt sagen, sondern sogar abgekriegt, ließ es aber... «Meinen Sie denn, dieser Mirko Fischer ist noch immer unterwegs in Berlin?»
«Wieso?»
«Weil ich mir vorstelle, daß Sie ganz schön Angst haben müssen...»
«Der muß Angst haben vor mir. Wenn der auftaucht hier bei mir im Wagen, dann gibt’s den finalen Todesschuß. Aber pur!» Der Fahrer lachte. «Klarer Fall von Notwehr war das dann bei mir! Die Richter heute, diese Weicheier, die muß man austricksen alle. Bei denen kriegt dieser Bursche doch höchstens zwei Jahre mit Bewährung – weil Mama mal vergessen hatte, ihm den Schnuller zu geben.»
Mannhardt schwieg erst einmal. Sie fuhren die Otto-Suhr-Allee hinauf, am Charlottenburger Schloß vorbei und dann am Jakob-Kaiser-Platz auf die Hamburg-Autobahn hinauf, um nachher über den Eichborndamm auf die B 96 zu kommen. Auf dem anderen Rücksitz lag ein buntes Faltblatt. Vorfahrt für den Fahrgast – Der neue Berliner Taxi-Tarif. Mannhardt nahm ihn hoch und versuchte ihn zu lesen, soweit das in der hereinbrechenden Dämmerung noch möglich war. Ganz oben links schimmerte ein Fünfmarkstück, und die Überschrift – passend zu einer fünfköpfigen Familie, die mit ihren Koffern vor dem Brandenburger Tor stand und strahlend eine heranrollende Taxe begrüßte – lautete:
Für 5 Mark bringen wir ganze Familien um die Ecke!
Zuerst dachte Mannhardt nur, daß das Ganze ja ziemlich hirnrissig war, denn am Brandenburger Tor gab es ja nirgendwo Wohnungen, in denen Großfamilien lebten, dann aber bemerkte er den Doppelsinn des Spruches, und ihm fiel wieder ein, welche Assoziationen diese Gerda Dombrowski, Gotzkowsky oder wie auch immer bei ihm ausgelöst hatte: das Bild vom mordenden Taxifahrer. Wie nun, wenn so ein Typ wie der Mann vor ihm am Steuer nun total durchgeknallt war, einen Fahrgast falsch eingeschätzt und in «Notwehr» erschossen, dann aber den Mut verloren hatte, zur Polizei zu fahren? Vielleicht hatte die pensionierte Lehrerin doch keine Gespenster gesehen.
Für 5 Mark bringen wir ganze Familien um die Ecke!
Mannhardt kam gar nicht mehr los davon. Die Taxe auf der Tarifinformation war mit Werbung beklebt. Worum es dabei ging, war bei dem schwachen Licht nicht auszumachen, nur den Ort, wo sie ansässig war, konnte er entziffern: CAPUTH. Das war der Ort am Templiner See bei Potsdam, wo das
Weitere Kostenlose Bücher