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Ein Mann von Welt

Ein Mann von Welt

Titel: Ein Mann von Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antoine Wilson
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sterben sollen, nicht er, aber deine Mutter hat ihn getötet, sagte sie, sie hat ihn getötet, und immer weiter getötet, auch als sie weg war.

    Meine Beförderung hatte auch in mir Hoffnungen geweckt, Juan-George. Wie gesagt, ich hatte das Wesen von Beförderungen noch nicht verstanden, Paul Renfro hatte mich noch nicht darüber aufgeklärt, wie diese Dinge in der sogenannten echten Welt abliefen, was diese Dinge wirklich bedeuteten. Und so tauchte ich in den ersten süßen Stunden auf meinem neuen Posten in die Freude über meine Beförderung ein, das Zischen der gefrorenen Pommes, wenn sie ins heiße Öl sanken, die Tatsache, dass ich ein aktiver Teilnehmer an der Essenszubereitung geworden war. Ganz zu schweigen davon, dass ich von der erhöhten Position der Friteuse Ho und die anderen an der Theke beobachten konnte, und ich konnte auch vorbei an Rogers winzigem Büro bis hin zu den Tiefkühlschränken blicken, in denen die riesigen Tüten mit den Pommes und der ganze gefrorene Dreck
und Schmodder waren, der jede Woche aus den Lastwagen kam, und dann bis zur riesigen Spülmaschine, wo Harold, der jetzt meinen Job als Springer hatte, der in einem besonderen Minibus zur Arbeit kam und der jeden Morgen von so einer Art Betreuer gebracht wurde, wo er mit einem Finger im Mund oder der Nase herumstand, als könnte sich die Fingerspitze lösen, wenn sie der Luft ausgesetzt wäre. Das alles kam mir am ersten Tag ideal vor. Aber am zweiten Tag, beim zweiten Mal, dass ich zur Arbeit kam und mich an die Friteuse stellte, schlich sich noch ein anderes Gefühl ein, das gleiche Gefühl, das man hat, wenn man seine Butterbrotdose aufmacht und dasselbe wie gestern drin ist. Ich konnte das nicht recht verstehen, ich machte Karriere, wie man so sagt, ich hätte dankbar sein müssen, und stattdessen beobachtete ich Harold, ich beobachtete den neuen Springer, wie er im Restaurant herumstreunte, seine diversen Aufgaben erledigte, keine davon besonders gut, und mir wurde klar, dass ich es jetzt schon vermisste, der Springer zu sein, ich vermisste es, von einem Tag zum anderen nicht zu wissen, was meine nächste Aufgabe sein würde. Ich fühlte mich an die Friteuse gekettet. Ich versuchte, mir die Zeit zu vertreiben, indem ich mir Melodien ausdachte und die dann vor mich hin pfiff, allerdings hatte ich eigentlich gar keine richtige Gelegenheit, mir Melodien auszudenken, ich probierte noch unterschiedliche Noten aus, als Roger mir sagte, ich sollte verdammt noch mal die Klappe halten, er konnte sich nicht auf das konzentrieren, worauf er sich gerade in seinem Büro konzentrieren musste, wenn ich diesen gruseligen Lärm veranstaltete, seine Worte. Mit großer Freiheit kommt
große Verantwortung, hat mal jemand gesagt, nun, umgekehrt gilt das nicht.

    Es war ein ziemlicher Tiefpunkt. Aber Tiefpunkte sind wertvoller als Höhepunkte, denn wenn du einen Höhepunkt erreichst, willst du, dass es immer so weitergeht, was unmöglich ist, während du, wenn du einen Tiefpunkt erreichst, überall nach einem Ausweg suchst, und dabei siehst du Dinge, die dir vielleicht sonst gar nicht aufgefallen wären. Ich hatte gerade den Frittierkorb aus dem heißen Öl genommen und ihn in die Halterung gesteckt, damit das Fett ablaufen konnte, bevor die Pommes in den Trog unter der Wärmelampe ausgeschüttet wurden, ich hatte das gerade gemacht, und da sah ich, ganz oben auf all den anderen Pommes, eine einzelne Pommes, normal, was Farbe und Struktur und Breite anging, aber ungewöhnlich lang. Ich hatte möglicherweise schon mal eine gesehen, sie traten ungefähr alle hundert Fritten oder so auf, aber erst als ich meinen persönlichen Tiefpunkt hatte, erkannte ich, erst als Roger Macarona mir sagte, ich sollte verdammt noch mal die Klappe halten, erst da erkannte ich ihr Potential. Ich legte die ungewöhnlich lange Pommes beiseite, und ab da achtete ich darauf, alle ungewöhnlich langen Pommes zur Seite zu legen, ich schob sie zum Rand des Trogs, bis ich genug zusammenhatte, um damit eine von unseren Frittenschachteln aus Pappe zu füllen, und dann richtete ich meine Aufmerksamkeit auf die Theke, um den Empfänger zu bestimmen. Ich konnte mir jeden Kunden aussuchen, den ich wollte, das fühlte sich sehr befreiend an. Ich war nicht mehr an meine Jobbeschrei
bung gebunden, was ein gutes Beispiel dafür ist, auf welche Weise ein denkender Mensch zu Autonomie und Selbstbestimmung gelangt, Paul Renfros Worte. Zuerst suchte ich mir den interessantesten Menschen des

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