Ein Mann will nach oben
nicht dabei, wenn ich Ihrem Vater alles erzähle – wenn Sie dabei sind, kann ich nicht ordentlich reden.«
»Nanu!« rief sie erstaunt. »Ich finde, Sie können gewaltig reden, wenn ich da bin! Sie lassen mich überhaupt nicht zu Wort kommen! Ich –«
»Zum Donnerwetter noch einmal!« schrie eine gewaltige Stimme aus der Villa. »Willst du mal meine Leute nicht von der Arbeit abhalten, Ilse? Und Sie, Jüngling, beeilen Sie sich ein wenig, für Unterhaltungen bezahle ich Sie nicht! Den Kaffee, Ilse, und ein bißchen dalli!«
»Vater –« flüsterte sie. »Und schon wach … Dann ist er immer schlechter Laune …« Sie eilte davon, und Karl Siebrecht drehte, ergeben und knirschend, wieder den Hahn auf. Wieder breitete sich vielfältig bunt der Wasserstrahl aus, wurde zum Fächer, verwandelte sich in Nebel …
»So«, sagte der Gartenbesitzer. »Das genügt für heute. Haben Sie den Kolben doch wieder losgekriegt? Er war mir eingerostet. Spülen Sie die Spritze gut nach, und machen Sie sich wieder menschlich. Sie können sich in der Küche waschen.« Damit drehte sich Herr Gollmer um und war schon wieder fort. Er hatte die Routine aller reichen Leute, den anderen das Wort im Munde abzuschneiden.
Die Spritze war ausgewaschen und Karl Siebrecht gereinigtund sonntäglich. Vom Küchenausgang her sah er in den Garten. In einer Laube klapperten Löffel, er warf den Kopf zurück, legte die Hände auf den Rücken und marschierte entschlossen, quer über den Rasen fort, direkt auf die Laube zu, unter Nichtachtung aller Wege. In der Laube saßen, wie erwartet, Herr Gollmer und Tochter beim Kaffeetrinken. »Wenn ich mich jetzt vorstellen darf«, sagte er, und seine Stimme zitterte ein wenig trotz all seiner Entschlossenheit. »Mein Name ist Karl Siebrecht. Ich bin Mitinhaber der Firma Siebrecht & Flau. Wir befassen uns mit der Gepäckbeförderung von und zu den Berliner Bahnhöfen!«
»Hochinteressant!« sagte Herr Gollmer und rührte, ohne aufzusehen, in seiner Kaffeetasse. »Ilse, gib dem jungen Mann einen Stuhl und eine Tasse Kaffee. Da Sie bei der Vertilgung meiner Blattläuse tüchtig waren, will ich Sie fünf Minuten anhören. Gelingt es Ihnen, mich in fünf Minuten zu interessieren, so reden wir weiter. Wenn nicht, gehen Sie.« Herr Gollmer machte die Uhr von der Kette los, ließ den Deckel aufspringen und legte sie vor sich hin. »Um vier Uhr drei ist Schluß!« sagte er drohend.
Karl Siebrecht lehnte sich zurück. Nur nicht so schnell! dachte er. Fünf Minuten sind eine lange Zeit, in fünf Minuten kann man schrecklich viel reden. Ich darf nicht gleich von dem Geschäftlichen anfangen, ich soll ihn interessieren, von Geschäften hört ein solcher Mann genug … Und er fing an, vom Tode des Vaters zu erzählen, wie er nach Berlin kam, wie er Rieke kennenlernte … Er erzählte von den Trockenmietern, von Herrn Kalubrigkeit, von Herrn von Senden …
Vater und Tochter sahen sich an, als ob auch sie den Herrn von Senden kennten. Aber sie stellten keine Fragen, sie ließen ihn erzählen.
Er erzählte, wie er Kalli Flau traf, berichtete von Felten, Hagedorn und der Engländerin. Die Äpfelkähne wurden nicht vergessen, und nun waren sie schon bei den Bahnhöfen, der Opa Küraß tauchte auf, danach Kiesow, Kupinski, Franz Wagenseil – und der Kampf begann. Und während er diesalles erzählte, war es Karl Siebrecht, als erzähle er die Geschichte eines anderen. Es schien ihm nicht sein eigenes Leben, jetzt, da er es erzählte, wirkte es so bunt, aus vielen einzelnen Steinen zusammengesetzt, und doch schien alles nur auf ein Ziel gerichtet …
»Vier Uhr drei«, sagte Herr Gollmer. Er knipste die Uhr zu und steckte sie in die Tasche. Einen Augenblick saßen sie starr, der junge Mann und das junge Mädchen, sie sahen den älteren Mann erschrocken an. »Erzählen Sie doch weiter, Herr Siebrecht«, sagte der. »Ich habe Zeit! Noch eine Tasse Kaffee, bitte, Ilse!«
Eine Welle heißer Freude erfüllte den jungen Mann, einen Augenblick konnte er nicht sprechen. Er hob die Hand, er stotterte: »Ich … Ich … Sie …«
Der Automobilkaufmann tat, als habe er nichts gemerkt. »Lassen Sie sich nur Zeit«, sagte er. »Der Nachmittag ist noch lang …« Und fünf Minuten später: »So, das wissen wir nun. Sozusagen die menschliche Seite der Angelegenheit. Nun kommt die geschäftliche. Jetzt will ich Zahlen hören. Ilse, bring mir bitte Papier und Bleistift.«
Und nun stellte Herr Gollmer viele Fragen: Wie oft fuhren die
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