Ein Mann will nach oben
auf den Regalen. Und als sechstes bohrt man nicht in der Nase, wenn man wütend oder verlegen ist. – So, Fräulein Palude, nun wollen wir weitermachen. Nein, gegen Ihre Buchführung ist nichts zu sagen, sie gibt eine gute Grundlage. Aber wie mir gesagt wurde, werden die Geschäfte hier in Kürze einen wirklich großen Umfang annehmen –« Der rothaarige Lehrling Bremer hatte mehr als einen hilfeflehenden Blick auf Fräulein Palude geworfen. Sie mußte sich doch an den Pakt erinnern, den sie gestern abend gegen den Eindringling geschlossen hatten. Aber dieses Weibsbild saß mit ihren Büchern und Abrechnungen friedfertig und eifrig neben dem neuen schneidigen Herrn am Tisch, und ein Lehrling Bremer schien nicht mehr für sie zu existieren.
Mit einem schweren Seufzer – »Nanu, hast du irgendwelche Beschwerden?« sagte der neue Herr – begab sich Egon Bremer an den Küchenausguß zum Händewaschen und ließ sich dann von Rieke ein Staubtuch geben. Drei Minuten später wirbelte der Staub, wurden Fenster aufgemacht – es wehte ein neuer, frischer Wind in der Eichendorffstraße!
Es wehte ein frischer Wind in der Eichendorffstraße – als Karl Siebrecht an diesem Morgen vor die Ladentür trat, zogen eilige weiße Wolken über den Dächern dahin, und der Himmel war um diese frühe Stunde noch klar und hellblau, ohne Dunst. Die Sonne schien, und der frische Wind wehte unter dem Piassavabesen des alten Busch kleine Staubsäulen auf, die eilig weiterwanderten, irgendwohin, jedenfalls von diesem Haus fort. Mit seinem lautlosen Lachen bot der alte Busch dem jungen Menschen wieder den Besen an. Aber Karl Siebrecht schüttelte den Kopf: »Nicht zuviel, Vater Busch. Einmal Glück haben reicht für eine lange Weile!«
Er trat in den Laden und machte sich mit dem neuen Buchhalter, Herrn Frenz, bekannt, und Herr Frenz sagte: »In großen Zügen bin ich ja schon von Herrn Gollmer orientiert. Ichdenke, ich stelle zuerst einmal mit Fräulein Palude einen Status auf – wenn Ihnen das recht ist, Herr Siebrecht?«
»Natürlich«, antwortete Karl Siebrecht, »ist mir das recht. Ein Status wird sehr gut sein!« Er hatte aber nicht die geringste Ahnung, was ein Status war. Gedankenvoll sah er dem Lehrling Bremer zu, der mit stark geröteten Ohren Staub wischte und dabei seinen Chef anklagend wegen dieser sein Mannestum entwürdigenden Weiberarbeit ansah.
»Räumen Sie nur tüchtig mit allem auf, Herr Frenz!«
»Soll geschehen, Herr Siebrecht. Würden Sie einmal überlegen, ob wir diesen Laden hier nicht möglichst rasch kündigen? Bestimmt bekommen wir in der Invalidenstraße oder am Anhalter Bahnhof ein würdigeres Geschäftslokal.«
»Die Mieten würden dort sehr viel höher sein.«
»Bestimmt. Aber wie Herr Gollmer meinte, werden wir in aller Kürze mit fünfzehn und zwanzig Autos fahren, da wird eine höhere Miete kaum eine Rolle spielen.«
Da war es wieder, dieses Glück, daß andere an ihn glaubten, ihm vertrauten, ihm vieles anvertrauten – trotz seiner Jugend und all der Dummheiten, die er begangen hatte! Da mußte etwas sein in ihm: ein Kern. Da mußte etwas über ihm stehen: ein Stern – und er selbst lernte immer mehr, diesem Kern und Stern zu vertrauen. »Ich werde es mir überlegen, Herr Frenz«, antwortete er. »Im übrigen gehe ich mit dem Gedanken um, auf den Bahnhöfen selbst Büros einzurichten. Ich stehe mit der Eisenbahndirektion deswegen in Verhandlung.«
Herr Frenz machte eine kleine Verbeugung. »Das wäre natürlich eine noch viel bessere Lösung, Herr Siebrecht.«
»Aber wenn uns das auch gelingt«, meinte der junge Chef, »ich bin nicht ganz sicher, daß wir diesen Laden und damit die Wohnung aufgeben. Darüber entscheidet allein Rieke – ich meine Fräulein Busch. – Fräulein Busch«, sagte er erklärend und sah dabei seinen Angestellten streng an, um ihm von vornherein jede Kritik zu untersagen, »ist unser aller Betreuerin, der gute Geist meiner Firma. Sie hat mir oft mit Rat und Tat geholfen.« Noch ein strenger Blick. »Ich werde Sienachher mit Rieke – mit Fräulein Busch bekannt machen, Herr Frenz.«
»Es wird mir sehr angenehm sein, Herr Siebrecht«, sagte Herr Frenz, wieder mit einer kleinen Verbeugung, und Karl Siebrecht hatte trotz aller formellen Höflichkeit des anderen ein unbehagliches Gefühl: Rieke und dieser messerscharf gebügelte Herr Frenz, das würde nie gut zusammenpassen …
Er ging an das Telefon und ließ sich mit der Eisenbahndirektion verbinden. Dann verlangte er
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