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Ein Mann will nach oben

Ein Mann will nach oben

Titel: Ein Mann will nach oben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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standen offen, kein Mensch war zu sehen. Dann, als das heiße Wasser in der Küche erschöpft war, machte er sich an den Raupenleim. Raupenleim ist eine zähe, sehr klebrige Angelegenheit. Er hat eine verhängnisvolle Neigung, überall dort zu haften, wohin er nicht soll, zum Beispiel an Händen und Kleidern. Leise in sich hinein fluchend, aber in immer schnellerem Tempo hantierte Siebrecht mit dem Leim. Er schmierte, er klebte, er verleimte den Ameisen jeden Zugang. Dabei war er sich dessen wohl bewußt, daß inzwischen auf allen Bahnhöfen eine sich ständig vermindernde Zahl von Karrenschiebern einen aussichtslosen Kampf um stets wachsende Gepäckberge führte! In der Eichendorffstraße rasselte das Telefon, es regnete Beschwerden, und die Palude konnte nichts antworten wie: »Der Chef ist seit Stunden verschwunden!«
    Ja, er, der Kommandeur dieses kleinen, heldenhaft kämpfenden Heeres, er arbeitete in der schönsten Maiensonne in einem Garten. Statt Franz Wagenseil zu überlisten, führte er Ameisen auf den Leim, statt Gepäck zu befördern, beförderte er Läuse ins Nirwana! Auch mit den vermessensten Anstrengungen ihrer Phantasie würden sie sich den Chef nie in diesem friedlichen Grunewaldgarten denken können – manchmal war es ihm selbst so, als träume er dies alles nur. Genug des Leims, her mit der Obstbaumspritze! Es war eine Karrenspritze, und Herr Gollmer hatte recht, mit seinen Gärtnern zu grollen: sie war nach der letzten Benutzung nicht gereinigt, und der Kolben war natürlich festgerostet. Oder Herr Gollmer war selbst daran schuld, er würde ihm das schon versetzen; dieser Mann, der hier einfach Sklaven preßte, verdiente keine Schonung. Dann hatte er die Spritze wieder in Gang. Die Lösung fuhr mit einem leichten Sausen aus der Messingdüse, breitete sich fächerförmig aus, glitzerte in der Sonne in allen Regenbogenfarben, und nun fiel sie wie ein dichter Nebel in die Zweige. In die Zweige und auf die Läuse – er lächelte grimmig: von diesem Schreckenstag würden dieältesten Läuse noch ihren Urenkeln berichten, in Läusezeitaltern! Nur wenige entrannen der Vernichtung.
    »Das können Sie aber prima!« sagte eine anerkennende Stimme hinter ihm.
    Er fuhr überrascht herum und hätte jetzt fast die junge Dame mit Nikotinbrühe besprengt. »Sind Sie jetzt endlich fertig mit dem Essen?« fragte er vorwurfsvoll.
    »Längst! Vater hat sich noch zu einem Nickerchen hingelegt. Er läßt Ihnen sagen, wenn Sie hiermit fertig sind, sollen Sie Butterblumen aus dem Rasen stechen!«
    »Und das haben Sie mir eingebrockt!« Er hatte den Spritzenhahn abgedreht und betrachtete sie vorwurfsvoll. »Wie lange will Ihr Vater denn noch schlafen?«
    »Das kann man nicht so genau sagen, manchmal schläft er bis fünf, halb sechs.«
    »O Gott!«
    »Aber Sie haben ja Ihre Beschäftigung. Wollen Sie nicht ganz als Gärtner bei uns eintreten? Ich finde, diese Tracht kleidet Sie ausgezeichnet.«
    Er war für ihren Spott unempfänglich. »Liebes Fräulein Gollmer!« bat er flehend. »Sie haben mir schon so wunderbar geholfen, Sie haben mir auch beide Daumen gedrückt –«
    »Ich –? Wie komme ich dazu!«
    »Vorhin am Fenster! Aber wahrscheinlich habe ich es nur geträumt. Es ist mir überhaupt alles hier wie ein Traum: der Garten, Sie, alles …«
    »Vergessen Sie die Blattläuse nicht in ihrem Traum! Vater sagt, Sie sind Spezialist in Blattläusen, Sie werden direkt leidenschaftlich, wenn Sie von Läusen reden.«
    »Ach, Fräulein Gollmer, warum ziehen Sie mich immerzu auf? Es hängt soviel für mich an dieser Unterredung mit Ihrem Vater, vielleicht alles. Und nicht nur für mich, für ein halbes Dutzend Leute, die zu mir gehören! Und Sie machen mich zu einem Narren!«
    »Was soll ich denn tun?« fragte sie, ein wenig betroffen und eingeschüchtert.
    »Wecken Sie ihn auf! Ich muß ihn jetzt sprechen! Es kommt nun schon auf jede Minute an! Vielleicht ist es schon zu spät! Und ich stehe hier rum und beschäftige mich mit Läusen!«
    »Sie beschäftigen sich mit mir!« sagte sie streng. Und dann fragte sie argwöhnisch, ganz die Tocher des reichen Mannes: »Sie wollen Vater wohl anpumpen?«
    »Nein, ich will ihn nicht anpumpen, wenigstens nicht um Geld! Er soll mir helfen – und nicht einmal das! Ich will ein Geschäft mit ihm machen. Liebes Fräulein Gollmer, bitte, gehen Sie und wecken ihn. Sie können ja alles nachher mit anhören, aber jetzt brennt es!« Er redete immer überstürzter: »Nein, seien Sie lieber

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