Ein Mann will nach oben
Pritschenkasten waren kanariengelb gestrichen, und von dem Eisenbügel oben, an dem die Regenplane angemacht werden konnte, hingen große Schilder, kanariengelb und schwarz: »Berliner Gepäckbeförderung Siebrecht & Flau« … Da kamen sie. Da hielten sie vor dem Laden, einer hinter dem anderen, eine militärische Kolonne, ein imponierender Aufmarsch! Der frische Wind jagte durch die Eichendorffstraße, viele Fenster öffneten sich, viele Köpfe schauten, was dies wohl zu bedeuten hätte.
Auch aus dem Laden kamen sie: die kräftigen Auflader,deren Gesichter jetzt lachten. Der Lehrling, dem es in allen Gliedern zuckte, als erster auf so ein Auto zu springen. Die Palude, die vor Freude wahrhaftig einen Schimmer von Jugend bekam. Der Herr Buchhalter Frenz, hinter jedem Ohr einen nadelscharf gespitzten Bleistift, mit strenger Miene, als habe er diese Autos auf ihre ordnungsmäßige Ablieferung hin zu prüfen. Im Torweg stand der alte Busch. Auf seinem Besen gestützt, betrachtete er offenen Mundes die gelben Wagen. Rieke aber, neben sich die kleine Tilda, lag in einem Fenster und rief: »Mensch, Karle, jetzt schlägste aber den Franz! Nu haste jleich fünf Vögel! Det sind ja Kanalljenvögel! Vastehste?«
Alle lachten, sogar der gestrenge Herr Frenz geruhte, schwach zu lächeln. Und von hier aus breitete sich der Name aus. Erst brauchten ihn nur die von der Firma, dann kannten sie ihn schon auf allen Bahnhöfen, schließlich sagte ganz Berlin: »Det sind die Kanalljenvögel!« Und so tüchtig war Herr Frenz, daß er dafür sorgte, daß der Anstrich der Wagen immer schreiender gelb wurde. Karl Siebrecht teilte die Leute ein. Fast alle Autos konnten heute mit zwei Beifahrern besetzt werden. Um so besser, desto schneller wurde das Gepäck verladen. Er fing den flehenden Blick des Lehrlings Egon auf. Sein Herz war milde.
»Na, Egon, dann spring heut noch mal auf ein Auto! Nicht wahr, Herr Frenz, heute lassen Sie ihn noch einmal von der Kette? Aber dann, Egon –!«
»Jawohl, Herr Chef!« sagte Egon, strahlte und sprang. Sprang und strahlte – stand, die Hände in den Taschen, wie ein Fürst oben auf der Autopritsche. Herr Frenz würde ihm heute abend schon sagen, was er von Fürsten mit den Händen in der Tasche hielt …
Dann setzte sich die Kolonne in Bewegung. Ein Wagen nach dem anderen startete, wobei sie den Auspuff dröhnend knattern ließen. Sie hupten und hupten! Am Stettiner Bahnhof fuhren sie eine Schleife, sie fuhren an der Abfahrtsseite vorbei, dann die Längsseite des Bahnhofs hinunter, immerforthupend – wie die Leute starrten! Und nun trennten sich die Wagen, jeder eilte seinem Bahnhof zu. Das Auto mit Karl Siebrecht aber fuhr am Seitenportal des Stettiner Bahnhofs vor; es war gerade die rechte Zeit für den Schwedenzug. Es war auch gerade die rechte Zeit für den Endkampf mit Franz Wagenseil.
50. Nach dem Sieg
Ja, da hielt das Wagenseilsche Gespann, und Karl Siebrecht betrachtete es mit Anerkennung und Wehmut. Wenn er nur einmal, wenn er nur ein einziges Mal mit einem solchen Gespann vor dem Bahnhof hätte halten können! Da fehlte aber auch gar nichts! Die neuen Geschirre glänzten nur so von Lack und Neusilber, die hellen Mähnen der leichten Belgier waren in viele Zöpfchen geflochten, und ihre Hufe waren so spiegelnd geputzt wie höchstens die Lackstiefel eines Offiziers vom Gardekürassier-Regiment. Der Rollwagen war frisch überholt, über ihm hing ein großes Schild: »Einzige Bahnhofs-Gepäckbeförderung. Inh. Franz Wagenseil.«
Karl Siebrecht wandte sich an seinen Beifahrer: »So hätten wir es einmal haben sollen, was, Jahnke?«
»Das können Sie wohl sagen, Herr Siebrecht! Aber nicht einen Koffer haben die auf dem Wagen!«
»Der Beifahrer wird drinnen im Bahnhof sein. Zu Anfang werden die wohl noch Gepäck kriegen, aber wir hängen sie schon ab! Jetzt sind wir die Schnelleren.« Und zu dem noch unerfahrenen Chauffeur: »Am besten reden Sie mit den Leuten von dem Gespann vor uns gar nicht! Die sind nämlich Konkurrenz!«
Worauf der Chauffeur voll Verachtung erwiderte: »Ick und mit Pferdekutschern reden? So ’ne Leute seh ick übahaupt nich! Mit so ’ne Leute mach ick mir doch nich jemein!«
Karl Siebrecht kam mit Jahnke an die Gepäckausgabe, und wer stand dort, eifrig, hitzig redend, fast schon schimpfend? Mit schwarzledernen Gamaschenbeinen der Herr FranzWagenseil selbst! Auf einen Ruck verstummte er, als er Karl Siebrecht sah. »Ich möchte Gepäck holen!« sagte Karl Siebrecht
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