Ein Mann will nach oben
und sah den Franz Wagenseil gar nicht.
»Mit was holen Sie denn heute?« wurde er vorsichtig gefragt. »Wieder bloß mit dem Handwagen?«
Karl Siebrecht lächelte. »Mit ’nem Kanalljenvogel!« platzte Jahnke los. »Bloß, wat een Kanalljenvogel uff dem Schwanz wegträgt!« Alle platzten los.
»Ich fahre von nun an nur mit Autos!« sagte Karl Siebrecht, als sie sich ein wenig beruhigt hatten.
»Also denn ran mit den Karren! Und sehen Sie, daß wir heute ein bißchen Luft kriegen, es ist wirklich so kein Arbeiten mehr!«
»Heute kriegen Sie soviel Luft, wie Sie nur brauchen!« antwortete Siebrecht, und sie fingen an, die Karren vollzupacken.
Franz Wagenseil war verschwunden. Und er blieb auch verschwunden, eine ganze Weile lang. Er erkundigte sich wohl bei dem Chauffeur des gelben Wagens nach allem Näheren, das der auch nicht kannte.
Sie waren gerade dabei, die ersten Gepäckkarren zum Auto zu stoßen, als Wagenseil wieder angestürzt kam. Er war blaß, seine Hände zuckten. »Das dürfen Sie nicht!« schrie er schon von weitem. »Wenn Sie mir kein Gepäck geben wollen, dürfen Sie dem erst recht keines geben. Der ist ja noch minderjährig, der ist ja bloß ein Rotzjunge! Der darf ja noch gar keine Firma haben –!«
»Das müssen Sie mit der Eisenbahndirektion ausmachen!« wurde ihm geantwortet. »Wir haben Anweisung, nur an die Firma Siebrecht & Flau auszuhändigen.«
»Aber seit wann denn? Früher hat doch jeder fahren dürfen! So etwas gibt es ja gar nicht!«
»Seit wann? Vor einer Stunde ist hier angerufen worden. Ja, Herr Wagenseil, da sind Sie eben ein bißchen zu spät aufgestanden. Hätten Sie den Mist mit den halbtoten Pferden nicht gemacht! – Obacht! Obacht! Sie!« Der »Sie« war Franz Wagenseil.Er stand so bestürzt da, daß er sich beinahe hätte umfahren lassen. Zum ersten Mal sah Karl Siebrecht seinen ehemaligen Fuhrherrn ohne ein Wort. Einmal in seinem Leben wußte Franz Wagenseil nichts zu antworten. Der Findige, der Schlaue, der Beschlagene, der Bedenkenlose – nun standen einmal seine eigenen Taten gegen ihn auf. Er wußte nichts zu sagen, er konnte nichts tun. Als sie wieder in den Bahnhof zurückkamen, war er verschwunden. Und als sie wieder aus dem Bahnhof herauskamen, war sein Gespann fortgefahren. Es war ein leichter Sieg gewesen, ohne Kampf erfochten, man hatte keine Ursache, auf dieses Schlußgefecht besonders stolz zu sein! So viele hatten zu diesem Siege geholfen, zum Schluß noch am meisten der Herr Regierungsrat Kunze! Mit Dankbarkeit dachte Karl an diesen verstaubten Mann im dunklen Büro am Schöneberger Ufer.
Sie fuhren und fuhren an diesem herrlichen Maitag, sie beförderten Koffergebirge. Und während sie so dahinfuhren in der Maisonne, heiß vom Verladen und gekühlt vom Fahrwind, grübelte Karl Siebrecht schon über Autos mit größeren Pritschen. Er mußte sich auch eine andere Sorte Chauffeure heranziehen als diese Herren, die zu fein waren, einen Koffer anzufassen, die nur fahren wollten. Sie wurden viel zu teuer. Karl Siebrecht war gerade in solchen Gedanken, als er von einer Mädchenstimme angesprochen wurde: »Würden Sie wohl meine Handtasche zum Stettiner Bahnhof befördern?«
Rot werdend, starrte er in das lockenumrahmte Gesicht von Fräulein Ilse Gollmer!
Boshaft fuhr sie fort: »Sie sind doch Spezialist in Handtaschen, nicht wahr?«
»Ach Gott, Fräulein Gollmer!« rief er glücklich. »Das ist aber nett von Ihnen, daß Sie mich auch besuchen!«
»Ich Sie besuchen? Na, wissen Sie! Ich kam hier gerade vorbei und sah dies komische gelbe Auto, und da habe ich –« Jetzt wurde auch sie rot: »Sie haben ja eine dolle Schürze um, Sie sehen beinahe so schön aus wie als Gärtner! Ich finde aber, Sie können Ihre Schürze mal waschen lassen!«
»Leder kann man doch nicht waschen, Fräulein Gollmer«, entschuldigte er sich.
»Dann kratzen Sie es wenigstens mal mit einem Messer ab!« Sie musterte ihn kritisch: »Ihr Scheitel ist auch nicht in Ordnung, und Sie haben nicht einmal einen Schlips um!«
Nachdem sie ihn so völlig zerschmettert hatte, nickte sie gnädig: »Adieu, Herr Siebrecht, übrigens soll ich Sie von Vater daran erinnern, daß Sie ihm einen Distelstecher versprochen haben!« Sie ging, und Karl Siebrecht fiel erst drei Minuten später ein, daß sie ihn also doch extra aufgesucht hatte, sonst hätte sie ihm ja keine Bestellung des Vaters ausrichten können! Sie war ein großartiges Mädchen!
Sie fuhren immer weiter an diesem schönen
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