Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Mann will nach oben

Ein Mann will nach oben

Titel: Ein Mann will nach oben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
Vom Netzwerk:
du denn so krumme Beine haben –?!«
    »Aba, Karl!« rief sie strahlend. »Det is ja gerade fein! Setz dir bloß mal Probe druff! So, nu schling mal deine Beene um die Stuhlbeene, det mach ick doch imma so jern! Na, merkste wat? Jroßartig jeht det, wie een Boomaffe fühlt man sich! Direkt hochklettern könnt man an die Dinger!«
    Und lachend fügte er sich. In diesen Wochen war Karl Siebrecht, der Heimgekehrte, wirklich sowenig Erzieher wie sonst nie in seinem Leben!

63. Suche nach dem Vergangenen

    In diesen letzten Wochen des grauen, naß verrinnenden Jahres 1919 war Karl Siebrecht viele Wege gegangen, beseelt von der Hoffnung, daß er das Werk wieder arbeiten lassen konnte, das er einst als blutjunger Mensch in Gang gesetzt. Er war von Bahnhof zu Bahnhof gegangen, wie einst hatte er an den Gepäckausgaben gestanden und nach den alten Gesichtern Ausschau gehalten. Sie konnten doch nicht alle verschwunden sein … Nein, sie waren es nicht. Manchmal stutzte so ein Mann in der grünen Jacke, einen Augenblick lächelte er: »Sind Se det, Herr Siebrecht? Na, ooch wieda heil zu Hause? Ick freu mir!« Sie schüttelten sich die Hände, aber gleich wurde des anderen Miene wieder trübe: »Se wollen doch nich mit die alte Fahrerei wieder anfangen? Da lassen Se man die Pfoten von! Kommen Se mal rin in unsern Gepäckkeller, wat da rumliegt, det fahren Sie in eine Fuhre raus!«
    »Das kommt auch wieder anders! Wenn erst das Vertrauen zurückgekehrt ist.«
    »Vertrauen –? Uff wat denn Vertrauen –?! Uff die Regierung? Uff den Dollar?! Uff die Alliierten?!! Nee, Herr Siebrecht, det machen Se sich man ab, det kommt nich wieda zurechte! – Jawoll, een paar fahren. Manchmal! Wenn sie grade nischt Besseres zu tun wissen. Sie können ja mal mit die Kutscher von die Kröpelfuhren reden, wenn die wat anderes sagen, heeß ick Fritze Bollmann!«
    Nein, auch die Kutscher erzählten dem Karl Siebrecht nichts anderes. Es waren wirklich Kröpelfuhren, und die Leute erschienen Karl Siebrecht keineswegs so vertrauenswürdig, daß man ihnen Koffer gerne überlassen hätte.
    Der Gepäckträger Beese, dem Karl Siebrecht davon sprach, schüttelte ernst seinen traurigen Pfeifenkopf. »Da haben Sie recht, Herr Siebrecht. Sehen Sie mal den Koffer an, den ich hier trage!«
    Sie hatten sich oben an den Bahnsteigen auf dem Stettiner Bahnhof getroffen und gleich erkannt. Herr Beese trug einenziemlich schweren schönen Lederkoffer. »Schöner Koffer«, sagte Karl Siebrecht. »Was ist mit ihm?«
    »Das ist der einzige Koffer, der sich zu tragen lohnt!« sagte der Gepäckträger Beese. »Das ist nämlich ein Ausländerkoffer! Aber so was bekommen Sie nie zu sehen, das kommt mit dem Auto und geht mit dem Auto. Davon kriegen Sie nicht einen in die Pfoten. So ist das!«
    Karl Siebrecht betrachtete den Herrn Beese nachdenklich. »Sie wenigstens sehen ganz unverändert aus, Herr Beese«, sagte er, und das stimmte wirklich: trauriger, als Herr Beese schon vor dem Kriege ausgesehen hatte, konnte man wirklich nicht aussehen.
    »Das sagen Sie nun auch!« sagte Herr Beese und lächelte. Es war ein kümmerliches, es war ein erbärmliches Lächeln, aber es war ein Lächeln. Er nahm seine Mütze ab. »Und nun kieken Sie mal!«
    Ja, das war nun freilich nicht mehr zu übersehen: quer über Herrn Beeses glatten runden Schädel lief eine breite, feurige Narbe. »Granatsplitter?« fragte Karl Siebrecht sachverständig.
    Herr Beese nickte nur. »Douaumont!« sagte er kurz.
    »Na, dann kucken Sie mich auch mal ab, Herr Beese!« forderte Karl Siebrecht ihn auf und nahm seinen weichen Filzhut ab. Er mußte ziemlich tief in die Kniebeuge gehen, denn Herr Beese war ja nur ein kleiner Mann. »Fühlen Sie ruhig unter meinen Haaren! Sie läuft fast wie bei Ihnen – Verdun!«
    Und so befühlten sie gegenseitig ihre Narben und vergaßen den Stettiner Bahnhof und die zugrunde gehende Gepäckabfuhr. Sie erzählten sich, wo sie die Narben gekriegt hatten und wie lange sie gelegen hatten und was sie heute noch davon fühlten – bis Herr Beese von einem wutschnaubenden Schweden aufgestöbert wurde, dessen Zug eben abgefahren war …
    Karl Siebrecht verstand es allmählich besser, daß sich Kalli auf eine Autotaxe zurückgezogen hatte. Trotzdem scheute er den Weg auf die Eisenbahndirektion nicht. Dem ordentlichen Herrn Kunze mußte das jetzige Chaos doch ein Dorn im Auge sein!
    Aber Herr Regierungsrat Kunze war nicht mehr auf der Direktion. Herr Kunze war pensioniert! Siebrecht fand

Weitere Kostenlose Bücher