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Ein Mann will nach oben

Ein Mann will nach oben

Titel: Ein Mann will nach oben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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seinen ehemaligen Beschützer in einer kleinen düstern Wohnung, in einem kalten Plüschzimmer, wo er vom Fenster auf eine düstere, kalte Straße hinaussah.
    Auch Herrn Kunzes Stimmung war düster und kalt. »Ja, mein Lieber«, sagte er, »sie haben mich pensioniert, das heißt, sie haben mich abgesägt. Ich hätte noch zehn, noch zwanzig Jahre arbeiten können, aber man braucht Leute wie mich nicht mehr!«
    Einen Augenblick überlegte Karl Siebrecht, dann meinte er, daß es vielleicht sehr gut passe, wenn Herr Kunze pensioniert sei. Und ehe der Regierungsrat noch aufbrausen konnte, erklärte er ihm, daß man bei einer wirklich groß ausgebauten Gepäckabfuhr unbedingt einen Fachmann brauchen werde als Verbindungsmann mit der Direktion. Als er seinen Plan weiterentwickelte, erwärmte sich die kalte Stimmung des anderen ein wenig – er sah wieder Arbeit vor sich. Aber das Feuer ging aus, ehe es noch recht gebrannt hatte.
    Herr Kunze schüttelte den Kopf: »Mein lieber Siebrecht, das alles ist nur Phantasterei! Daraus wird nie etwas! Was denken Sie denn, welche Zustände auf der Bahn herrschen!? Alles rollende Material ist ruiniert! Und das bißchen, das noch was taugt, müssen wir an die Entente abliefern: alle Lokomotiven, alle Wagen. Davon erholt sich die Bahn in fünfzig Jahren nicht! Nein, verkaufen Sie Schnürsenkel oder amerikanische Zigaretten, da werden Sie was! Aber arbeiten –? Sehen Sie mich an! Ich glotze zehn Stunden am Tag auf die Straße! Das ist meine Arbeit – die schwerste, die ich in meinem ganzen Leben zu leisten hatte!«
    Damit gab er dem ehemaligen Schützling flüchtig und verlegen die Hand, verlegen, weil er sich seine Verzweiflung hatte merken lassen …
    Schon manches Mal war Siebrecht an dem großen Laden Unter den Linden vorübergekommen, hinter dessen Scheiben, genau wie vor dem Kriege, noch immer oder schon wiederAutos mit Nickel und Lack glänzten und lockten. Er war nicht näher herangegangen. Dies war sein letzter Ausweg, hierhin wollte er erst gehen, wenn er feste Vorschläge zu machen hatte. Nun ging er doch zu dem Laden – wohin sollte er sonst noch gehen?
    Die Wagen standen in den Fenstern wie vor dem Kriege, aber jetzt trugen sie keine deutschen Namen mehr, es waren alles französische, englische, amerikanische Wagen. Berlin, die Stadt der Ausländer, wie Deutschland das Land der Alliierten war! Auch das kleine Namensschild an der Tür hatte sich geändert. Wohl trug es noch immer den Namen »Ernst Gollmer«, aber ein »& Co.« war dazugekommen, und darunter stand zu lesen »G. m. b. H.«. Karl Siebrecht trat ein. Der Laden war gut besucht, sehr gut sogar. Überall standen Gruppen von Leuten um die Wagen, genau jener Schlag Leute, die dem Karl Siebrecht verhaßt waren, dicke Leute in schönen englischen Mänteln, aus deren Taschen sie nur ungern die Hände nahmen, Männer mit harten Augen. In einem mit rotem Leder gepolsterten Auto saß ein weibliches Wesen, etwas unvorstellbar Aufgeputztes und Bemaltes. Es drehte am Steuerrad, wie ein Affe daran gedreht hätte, und stieß dabei hohe, kreischende Schreie aus, die irgend etwas bedeuten sollten, denn vier Männer hörten dem Papageiengekreisch mit ernster Andacht zu.
    Karl Siebrecht hatte sich überall umgesehen: der backenbärtige Prokurist war nicht mehr hier. So wandte er sich an einen Cut-gekleideten Herrn, der hinter einem Pult saß, und erkundigte sich nach Herrn Gollmer. Er sei persönlich bekannt mit Herrn Gollmer …
    Der Cut sah ihn prüfend an, Karl Siebrecht fühlte es förmlich, wie er auf die Möglichkeit eines Autokaufs hin überprüft wurde. Dann schüttelte der Cut den Kopf: Nein, Herr Gollmer sei nicht hier …
    Karl Siebrecht wandte sich zögernd zum Ausgang. Ein Verkäufer ging an ihm vorüber. Flüchtig sahen sie einander an, gleichzeitig erkannten sie sich, mit einem Ruck blieben sie beide stehen. »Na, Haifisch?« fragte Hans Tischendorf, ganzim Ton des Stettiner Bahnhofs und grinste dabei ungemein. »Was machst du denn hier bei uns? Auto kaufen, was? Ich empfehle dir den Packard da hinten, kostet nur eine Kleinigkeit, viertausend Dollar – he?« Und er lachte. Er hatte noch immer das bleiche, käsige Gesicht mit den unruhigen Mausaugen, aber die Pickel waren verschwunden, und die Ratte war sehr selbstsicher geworden. Bestimmt hatte Tischendorf Erfolg gehabt, und er sah auch nicht so aus, als sei er im Felde gewesen. Er trug einen dunklen Anzug mit diskreten hellen Nadelstreifen, dazu ein rohseidenes

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