Ein Mann will nach oben
an. Sie sahen einander in die weiß gewordenen Gesichter. Das der Frau war härter geworden, die Lippen, die Jugend und Liebe voll und rot gemacht hatten, waren jetzt schmal und scharf. Scharf lag der Blick der Augen auf ihm. Noch zarter schien die Gestalt, aber es war nicht mehr die Zartheit der Jugend, diese Glieder waren dünn geworden von vielen Nachtwachen, diese Gelenke sahen so zerbrechlich aus, weil sie nichts hatten halten können. Auch ihn hatte seine Krankheit verändert. Sein Gesicht war weicher, die Haare, die sonst so widerspenstig gewesen waren, hingen nun sanft in die Stirn. Er hielt den Kopf ein wenig vornüber geneigt,seine Hand spielte mit der Uhrkette des Vaters auf der Weste. So sahen sie sich lange an, ohne ein Lächeln, ohne eine Frage, nur musternd, prüfend …
»Ja!« sagte Rieke dann plötzlich mit einer scharfen bösen Stimme. »Da biste also wieda, mit ’nem Pappkarton unterm Arm, genau wie damals. Heimkehr in die Heimat! Wird nu wieda jeheiratet? Welche is denn nu dran?«
»Rieke«, sagte er. »Du kannst es mir glauben: ich bin wirklich mit dem Auto verunglückt. Ich habe wirklich nicht eher kommen können!«
»Natürlich!« höhnte sie. »Und bis jestern biste so krank jewesen, det de ooch nich eene Zeile an deine Frau schreiben konntest! Ick kann nich richtig Deutsch, aba darum kannste mir noch lange nich for dußlig koofen!«
»Man kann von solchen Dingen schlecht schreiben, Rieke!«
»Weeß ick. Vasteh ick allens! Und wenn man von solche Dinge reden soll, denn haut man jenau den Abend ab, wo man vasprochen hat zu kommen! So macht man det, als feiner Mann von Wort, wat? – Aba«, rief sie immer wilder, »wat willste noch hier, wat stehste hier noch rum? Det haste ja woll jehört, det ick die Scheidung jejen dir einjereicht habe?! Jawoll, det ha ick, endlich haste deinen Willen jekriegt – wat willste nu noch? Haste keene Bleibe? Biste mal wieda zu Ende, det Kalli und ick dir durchfüttern dürfen? Aba bei mir bleibste nich, die Wohnung steht uff meinen Namen! In det Haus kommste nich wieda, wo du mir unjlücklich drin jemacht hast! Wat willste also? Ach, ick weeß schon: Jeld willste! Du hast ja noch ’nen Anteil an der Taxe! Det is dir injefallen, wat, uff dein schweret Krankenbette! Und siehste, so sind wir, du kannst dein Jeld sogar kriegen! Kalli hat sich eenen andern Kumpel jenommen, aber eenen, der richtig Jeld vadient, nich eenen, der bloß spazierenfährt! Sag bloß, wo du hinjehst, Kalli bringt dir det Jeld jleich morjen früh, det wir endlich Ruhe vor dir haben! Jehste bei die blonde Margot, mit der de da eben uff de Straße jequatscht hast? Sag schon!« Sie hatte alles dies in so rasendem Zorn herausgeschleudert, daß er nicht einWort hatte dazwischen sagen können. Aber auch jetzt, da sie schwieg, sagte er nichts. Er sah sie nur an, dann nahm er seinen Karton vom Tisch und ging auf die Tür zu.
Mit einem Sprung war sie an der Tür, drehte den Schlüssel um und zog ihn ab. »Wat?« schrie sie. »So willste abhauen? Ohne ein Wort willste jehen? Biste mal wieda zu fein, mit mir zu reden? Aber ick bin deine Frau! Ick will wissen, wat du dieses halbe Jahr jetrieben hast, ick habe een Recht dadruff! Wat denkste dir denn, det de hier wie Jraf Koks bloß an deine Weste ziehst und abhauen willst! Ick habe dir keenen Dreck uff die Weste jeschmissen, det haste immer janz alleen besorgt, und mir haste ooch mit dreckig jemacht! Wo biste jewesen? Wo haste so lange jesteckt, det sagste!«
»Ich habe einen Autounfall im Westfälischen gehabt, und ich habe da lange halb ohne Besinnung gelegen auf einem Bauernhof. Ich kann dir Papiere darüber zeigen, ich habe sie hier in der Tasche.« Er hatte nur zögernd gesprochen, alles, was er bisher gesagt hatte, war nur halb wahr oder ganz erlogen gewesen. »Aber das alles hat keinen Zweck mehr, Rieke, du glaubst mir nicht mehr, und du vertraust mir nicht mehr, es ist eben alles zu Ende. Wenn ich heute abend noch einmal hierhergekommen bin, so habe ich es getan, weil ich dich fragen wollte, ob du mir nicht verzeihen kannst. Ich weiß, ich bin an allem schuld. Geduldiger und liebevoller als du kann keine sein. Ich aber bin immer ungeduldig und reizbar gewesen, ich habe geschwiegen, wo ich hätte reden müssen, und wenn ich geredet habe, habe ich oft gelogen. Rieke, willst du nicht versuchen, mir zu verzeihen? Wollen wir nicht wenigstens als Freunde aneinander denken? Ich bin nie dein Feind gewesen, Rieke, nur zum Ehemann habe ich nicht
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