Ein Mann will nach oben
getaugt. Ich hätte das nie tun dürfen!«
»So!« sagte sie, und ihre Stimme hatte nichts von dem bösen Klang verloren, obwohl sie jetzt leise sprach. »Und wat hab ick davon, wenn ick dir vazeihe? Det du mit jutem Jewissen abrückst, det ha ick davon! Ick habe ihr zwar kaputt jemacht, aber ick habe ihr doch noch beschmust, det se als Freund an mir denkt – det ha ick davon! Du bist nich meinFeind jewesen? Du bist mein schlimmster Feind jewesen, alles haste jenommen von mir, wat de nur kriegen konntest, und mir haste hin jemacht! Wat bin ich noch? Ein Haufen Knochen, mit ’ner Wut im Balg! Det haste fertigjebracht, det ick uff de janze Welt eene Wut habe, sojar uff Kallin, bloß weil der Dussel mir noch imma liebt! Nee, mein Lieba, so wird nich jepfiffen, det schenk ick dir nu doch nich! Wenn de an mir denkst, denn weeßte, det ick dir hasse und verachte, det de mir rujeniert hast, det de mir bestohlen hast um allet und det ick dir kenne, wie dir keener kennen tut, als ’nen kalten Lumpen, der die Frau, die ihn liebt, mit Füßen tritt!«
Eine Weile saß er schweigend am Tisch, den Kopf in die Hand gestützt. Dann stand er plötzlich auf. »Komm, gib mir den Schlüssel, Rieke«, sagte er und streckte die Hand aus. »Ich denke, du hast mir nun alles gesagt, was du sagen wolltest. Oder ist sonst noch etwas?«
Unwillkürlich hatte sie ihm den Schlüssel gegeben. Mit einer ganz anderen Stimme fragte sie »Wohin willste denn jehen, Karle?«
»In irgendein Hotel«, antwortete er und ging zur Tür.
»Haste denn Jeld?«
»Ja, ich habe Geld.«
Er hatte jetzt die Tür aufgeschlossen und sah sie an. In ihrem Gesicht lag Angst, nur Angst.
»Halt, Karle!« rief sie. »Nur eenen Oogenblick noch!«
»Was ist noch?«
»Ick weeß nich, Karle, wat is, willste so jehen? Willste denn wirklich so im Zorne jehen?«
»Ich
war nicht zornig!«
»Ick weeß nich, wat ick jesagt habe. Ick bin unsinnig jewesen, ick hatte zu lange uff dir gewartet. Karle, jeh noch nich, warte eenen Oogenblick …«
»Ich warte –« sagte er und verfluchte sich, daß er noch wartete. Denn nun mußte er gehen, mußte er gehen, mußte er gehen, oder alles begann von neuem!
»Karle«, sagte sie und kam ganz nahe an ihn heran. Plötzlichglänzten ihre Augen, hatten ihre Wangen wieder Farbe. »Karle, det tuste nich, det du so jehst. Karle, du weeßt doch …« Sie hob ihre zitternde Hand und faßte nach seinem Kopf, als wollte sie ihn zu sich herabziehen.
Er wich hastig aus, er sagte: »Nein, Rieke, bitte nicht. Das ist alles vorbei …«
»Det is nich vorbei, Karle«, sagte sie und kam wieder näher. »Ick weeß, det kann nich vorbei sind. Dafor liebe ick dir zu sehr. Karle, jloobe mir, du jewöhnst dir wieda … Wir haben doch schöne Zeiten jehabt, Karle …«
»Nein!« sagte er und zwang sich. »Wir haben nie schöne Zeiten gehabt, Rieke, wir haben nie zueinander gepaßt. Von Anfang an hast du gedacht, ich würde mich gewöhnen. Aber nie habe ich mich gewöhnt, immer habe ich dich enttäuscht …«
»Det macht nischt, Karle«, flüsterte sie. »Enttäusche mir ruhig, wenn de man bei mir bleibst …« Sie hatte sich jetzt ganz an ihn geschmiegt, ihre Arme lagen um seinen Hals, ihr Mund hob sich ihm entgegen, und wieder war ihr Mund voll und rot.
»Rieke«, sagte er ihr ins nahe, liebende Gesicht hinein. »Rieke, heute früh noch hat mich eine andere so in ihren Armen gehalten, und die habe ich gerne geküßt …«
Sie stieß einen herzzerreißenden Schrei aus. Er fühlte, wie sie zusammensank in seinen Armen. Er sah ihr bewußtloses Gesicht, sachte ließ er sie zur Erde gleiten. Hilflos sah er sich um. Er durfte hier nicht bleiben. Er durfte ihr Erwachen nicht abwarten. »Kalli!« schrie er. »Kalli!« Noch nie hatte er umsonst nach dem Freund gerufen, und auch jetzt kam der Freund. »Kalli!« rief er. »Da! Rieke! Es ist alles zu Ende! Ich komme nie wieder …«
Er öffnete die Tür. Kalli starrte ihn zornig und verzweifelt an. »Heb sie wenigstens auf«, rief er. »Heb sie doch wenigstens auf!«
»Ich kann nicht!« schrie Karl Siebrecht und stürzte auf die nächtliche Straße hinaus.
FÜNFTER TEIL • HERTHA SIEBRECHT
86. Neue kleine Anfänge
Die Nacht in dem kleinen Absteigehotel in der Invalidenstraße war einfach grauenhaft. Immer hörte er Schritte auf dem Gang vor seiner Tür, hörte Türen klappen und das aufschreiende Gelächter verliebter Paare, hörte Seufzer und Küsse. So fing es an, aber wie endete es –? Sie hatte
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