Ein Mann will nach oben
Herr Feistlein. Der Knabe Karl sah ihn an. »Du sollst mir die Stiebel ausziehn, verdammt noch mal! Hörst du nicht?!«
»Nein, Herr Feistlein!«
»Wie –?!!!«
»Nein, Herr Feistlein, das tue ich nicht!«
»Du tust nicht, was ich dir sage?«
»Nein, Herr Feistlein, dies nicht!«
»Dann soll dich und mich«, sagte Herr Feistlein mühsam, »der Teufel holen!« Und Herr Feistlein stieß mit dem Fuß nach dem Jungen.
»Lassen Sie das lieber, Herr Feistlein!« sagte Karl Siebrecht warnend.
Der Ingenieur hatte selbst das dunkle Gefühl, daß es besser wäre, dies zu lassen. Da aber die Anregung dazu von dem Jungen kam, vertrug es sich nicht mit seiner Ehre, auf sie einzugehen. Herr Feistlein schlug noch einmal aus und traf kräftig das feindliche Schienbein. »Da!« rief er, von der Wucht seines Stoßes überrascht und begeistert.
»Da!« rief auch der Junge und hatte den Fuß fest in Händen.
»Laß los, sofort!« schrie Herr Feistlein.
»Nicht, ehe Sie nicht aufhören zu treten!«
»Ich denke ja gar nicht daran!« rief der Ingenieur. »Du kriegst noch ganz andere Tritte von mir!« Und er bemühte sich, den Fuß aus den Händen des Knaben zu befreien. Dabei hatte er aber jede Rücksicht auf seinen durch Alkoholgenuß gestörten Gleichgewichtssinn vergessen: er rutschte vom Stuhl und landete mit einem Krach auf dem Stubenboden. »Da!« rief er verblüfft. Karl Siebrecht aber hatte den Fuß losgelassen und lachte aus vollem Halse, so sehr amüsierte ihn das rote Gesicht, das fassungslos zu ihm emporleuchtete.
Die ganze Zeichenstube war in einem Aufruhr. Viele fanden sich, die dem gestürzten Gewaltigen dienstfertig aufhalfen. Spaßbolde klopften ihn von hinten sehr kräftig ab. Andere aber auch schoben sich um Karl Siebrecht und flüsterten ihm zu: »Das hast du recht gemacht! – Laß dir nur nichts gefallen von dem! – Dem Protz gehörte lange eine Abreibung!«
»Du bist auf der Stelle entlassen!« schrie der Ingenieur, der sich ein wenig gefaßt hatte.
Karl Siebrecht wäre nicht ungern gegangen, aber so wollte er auch nicht entlassen werden. »Sie können mich gar nicht entlassen, das kann nur der Herr Oberingenieur!«
»Du hast mich tätlich bedroht!«
»Nachdem Sie mich getreten hatten!«
»Du hast mir den Gehorsam verweigert!«
»Nie in dienstlichen Dingen!«
»Ich verwende dich, in was du zu gebrauchen bist!«
»Ich bin als Hilfszeichner eingestellt!«
»Du hast ja keine Ahnung vom Zeichnen!«
»Eine Ahnung habe ich schon!«
»So!« sagte Herr Feistlein. »So!« Er sah sich suchend auf seinem Zeichentisch um. Er faßte nach einer Zeichnung. »Hier ist der Grundriß eines Wohnhauses. Mach mir die Berechnung für die Fundamente, und zeichne die Pläne für den Schachtmeister!«
»Sie wissen sehr gut«, sagte Karl Siebrecht, »daß ich das gar nicht zu können brauche. Keiner hat bei meiner Anstellung verlangt, daß ich selbständig berechnen und zeichnen soll …«
»Du kannst nicht zeichnen!« rief Herr Feistlein triumphierend. »Da mußt du eben den Laufjungen spielen!«
»… aber ich habe bei meinem Vater so oft solche Zeichnungen gesehen, daß ich es vielleicht doch kann. Jedenfalls will ich es versuchen.« Er nahm dem verblüfften Herrn Feistlein den Grundriß einfach aus der Hand, überlegte einen Augenblick, machte dann noch eine kleine, nur eine winzige Spur spöttische Verbeugung und ging an sein Tischlein im Winkel, das er bisher nur zum Bleistiftspitzen und Paketemachen gebraucht hatte. Er zündete das Gas an.
»Halt!« rief Herr Feistlein. »Du verdirbst mir die Zeichnung bloß, Karl!« Er fühlte viele Blicke auf sich. Fast verlegen sagte er: »Na, laßt ihn schon! Er wird einen schönen Bockmist anrichten, dieser Laufbursche!« Und er wandte sich zu seinem Zeichentisch. –Wenn der Oberingenieur Hartleben auch wortkarg war, so sah er doch viel. Möglicherweise hatte er aber auch seine Zuträger. Es konnte der reine Zufall sein, es konnte aber auch mit Vorbedacht geschehen, daß Herr Hartleben am nächsten Vormittag gerade am Tisch des jungen Siebrecht stehenblieb,erst weiterredete – er berichtete von neuen Bauplanungen des Chefs –, nun einen zerstreuten Blick auf diesen Tisch warf, dann seine Rede unterbrach und erstaunt rief: »I, ich glaube gar! Du machst ja wohl Zeichnungen für den Schachtmeister, Karl! – Herr Feistlein!«
Herr Feistlein fuhr hoch und lief rot an. »Jawohl, Herr Hartleben! Jawohl! Ich habe dem Jungen – dieser Junge behauptet nämlich, er
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