Ein Mann will nach oben
könnte einfach alles zeichnen …« Karl Siebrecht sah den Herrn Feistlein fest an. Herr Feistlein verstummte. Eine grobe Stimme rief aus dem Hintergrunde »Oho! Oho!« und verstummte auch. »Schließlich ist er als Hilfszeichner eingestellt«, sagte Herr Feistlein schwach.
Jemand säuselte vernehmlich: »Und holt Bier –!« Ein paar lachten los.
Oberingenieur Hartleben hatte die Zeichnung in die Hand genommen. »Gar nicht so schlecht«, nickte er. »Aber – ist das nicht das Gelände, wo aufgefüllt werden muß, wo gar nicht ausgeschachtet wird? Wie, Herr Feistlein?«
»Ich glaube. Ich erinnere mich momentan nicht genau. Es ist immerhin möglich, Herr Hartleben.«
»Soso«, sagte der Oberingenieur. »Karl, gib diese Zeichnungen an Herrn Feistlein zurück.«
Unter tiefem Schweigen der ganzen Zeichenstube trug Karl Siebrecht die Zeichnungen zu Herrn Feistlein. »Bitte sehr, Herr Feistlein!« sagte er.
»Danke!« murmelte der. Er wollte nach den Zeichnungen fassen, besann sich und befahl, mit zwei Fingern zwischen Hals und Kragen, der ihn zu beengen schien: »Da, auf den Tisch!« Karl Siebrecht ging an seinen Platz zurück.
»Von nun an, Karl«, sagte der Oberingenieur Hartleben, »bekommst du deine Arbeit von mir zugeteilt, und nur von mir, verstanden?«
»Ja, Herr Oberingenieur.«
Herr Hartleben nickte und fuhr in seinem Vortrag über die Bauplanungen des Herrn Kalubrigkeit fort.
Von Stund an war Karl Siebrechts Stellung im Büro gesichert.Niemand kam mehr auf den Gedanken, ihm Stifte zum Anspitzen anzuvertrauen. Als einzige Erinnerung an überwundene Zeiten verblieb der Stube die Redensart »und holt Bier«. Immer, wenn nach jemandem gefragt wurde, rief ein Spaßvogel: »Und holt Bier!«
Dann sahen alle Augen zu Karl Siebrecht hin. Er aber sah nicht hoch. Er hatte die angenehmste Arbeit, Herr Hartleben sorgte dafür, daß der Anfänger nicht in der öden Beschäftigung des Pausens steckenblieb. Auch das mußte getan werden, aber dazwischen gab es Zeichnungen, bei denen nachzudenken und etwas zu lernen war. Dann stand der Oberingenieur wohl auch einmal fünf Minuten am Tisch des Jungen und erklärte ihm mit ein paar Worten dies und jenes, oder sein Zeichenstift löste mit einigen raschen sicheren Strichen ein für unlösbar gehaltenes Problem. Manche merkten, daß der Oberingenieur auf eine stille, unmerkliche Art den Laufburschen auszeichnete, und sie gingen dazu über, Karl Siebrecht mit Sie anzureden, unter ihnen als erster der Pickelhering Wums. Herr Feistling redete den Karl Siebrecht nicht mit Sie an, er redete ihn, wenn es irgend zu vermeiden war, überhaupt nicht an. Es hatte wohl noch eine kleine Aussprache unter vier Augen zwischen dem Oberingenieur und seinem Diplomingenieur gegeben. Eine lange Zeit ging Herr Feistlein gedrückt umher, sein Gesicht blühte weniger, und er ließ nichts mehr von der Überlegenheit des Akademikers über die Besucher eines Technikums verlauten. Nein, Karl Siebrecht hatte auf der ganzen Linie gesiegt. Er war im Besitz einer gesicherten Stellung, die tägliche Kündigung war in eine vierzehntägige verwandelt, er lernte etwas und hatte die besten Aussichten auf ein langsam ansteigendes Gehalt. Aber freute ihn das? Es freute ihn gar nicht. Es machte ihn unruhig. Solange seine Stelle noch etwas Provisorisches, Behelfsmäßiges gehabt hatte, war sie zu ertragen gewesen, aber jetzt, da alles in feste, sichere Bahnen gelenkt war, kam ihm immer wieder der Gedanke: Das habe ich doch nicht gewollt! An der Art Vorwärtskommen ist mir doch nichts gelegen!
Wenn er am Morgen seinen Weg aus der Wiesenstraße nach der Krausenstraße antrat, wenn er aus den engen, überfüllten, schmutzigen Arbeiterquartieren durch das verrußte Industrieviertel der Chausseestraße in den Geschäftstrubel der oberen Friedrichstraße kam und weiterging durch das reichbeschilderte Vergnügungsquartier bis in den Bezirk der Büros, wenn sich dies Tag für Tage wiederholte, die gleichen Läden, die gleichen Schilder, der gleiche mit Fuhrwerken und Autos brausende Verkehr, in dem er unbeachtet mitwimmelte – dann fühlte er, daß er jung war, daß er nicht so mitwimmeln durfte, daß er etwas anderes wollte. Manchmal blieb er stehen, als schüttelte es ihn, und er dachte: Nicht so! Nicht so! Nicht so!
Und wenn er dann auf die Zeichenstube kam, und leise summend begrüßte ihn das Gas mit seinem süßlichen, weichen Geruch, und wenn er über sein Jackett die Überärmel zur Schonung streifte, und
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