Ein Mann zum Abheben
lustig.«
»Ich habe keinen Witz gemacht.«
Sie schiebt ihren Muffin unangetastet zur Seite. »Du bist nicht einmal vernünftig genug, um Angst zu haben. Du hast doch wohl nicht vor, ihn zu dir nach Hause zu holen, oder etwa doch?«
»Ich weiß nicht. Warum eigentlich nicht? Phil und Tory reisen morgen ab.«
Kelly streckt die Hand über den Tisch und packt mich am Handgelenk. »Schalt ausnahmsweise mal einen Gang runter und hör mir zu. Wenn Phil sich entschließt, Tory haben zu wollen, was willst du dann tun? Du hast kein Geld, Elyse, du hast keine Bleibe.«
Ich will schon fragen: »Nicht einmal bei dir?«, lasse es aber. Ihr Haus ist nicht wirklich ihr Haus, es ist Marks Haus, und er würde mich nicht dort haben wollen. Noch viel weniger mich und meine Tochter und meine Katze und meine Töpfe.
»Nancy hat auf deinen Armen Blutergüsse gesehen«, fährt Kelly fort, sie lehnt sich näher zu mir, senkt die Stimme ein wenig. »Sie hat vor Monaten, damals um die Ferienzeit, darüber geredet, und egal was du von ihr denkst, Nancy ist nicht dumm. Wenn du ihr genug Zeit lässt, bringt sie eins und eins zusammen. Und wenn Nancy bei dir Flecken entdeckt, wenn du vollständig bekleidet bist, wie kannst du glauben, dass Phil nichts merkt?«
Ich verrate ihr nicht, dass die Blutergüsse, die Nancy gesehen hat, von jenem Abend stammen, an dem Phil mich
mit Handschellen ans Bett gefesselt hat. »Es sind noch zweiundfünfzig Tage bis zum 1. Juni«, sage ich. »Bis dahin wird die Wohnung fertig sein.«
»In zweiundfünfzig Tagen kann eine Menge geschehen.«
»Ist es wirklich so schlimm, wenn er zu mir nach Hause kommt? Ich will, dass er sieht, wer ich bin.«
»Du willst, dass er sieht, was du aufgibst. Das ist ein gefährliches Spiel. Mehr sage ich dazu nicht. Du spielst ein gefährliches Spiel.«
Kelly meint, ich hätte nicht genug Verstand, um keine Angst zu verspüren, aber sie irrt sich. Seit ich das Sch-Wort ausgesprochen habe, kommt mir die ganze Welt wie ein gefährliches Spiel vor. Gestern musste ich mich zweimal übergeben. Letzte Nacht habe ich drei Stunden geschlafen. Alle meine Freundinnen sind verheiratet. Sie sind vielleicht nicht mehr meine Freundinnen, wenn ich nicht mehr verheiratet bin. Auf meinem Girokonto habe ich nur viertausend Dollar. Gestern Abend ging Tory mit ihrer Urkunde für den zweiten Platz im Buchstabierwettbewerb direkt zu Phil. Sie krabbelte auf seinen Schoß. Vielleicht liebt sie ihn mehr. Vielleicht würde sie lieber bei ihm bleiben. Ich schalte die Nachrichten ein, in Brasilien hat es einen Flugzeugabsturz gegeben, in Taiwan ein Erdbeben, eine Frau aus einer Nachbarstadt verließ den Supermarkt und endete eingesperrt im Kofferraum ihres Autos. Diese Frau war wie ich, sie war einfach nur jemand, der ein paar Sachen einkaufen wollte und urplötzlich finden sie sie im Kofferraum ihres eigenen gottverdammten Autos. Ich werde von Angst eingehüllt, sie ist unsichtbar wie die Luft, aber sie ist da. Ich versuche, nicht einzuatmen, mache es aber täglich.
Kelly seufzt, streicht sich die Haare aus der Stirn. Sofort fallen sie ihr wieder ins Gesicht. »Wann also fliegt der Wunderjunge ein?«
»Am Mittwoch.«
»Werde ich ihn kennenlernen?
»Das bezweifle ich.«
»Manchmal frage ich mich, ob es ihn wirklich gibt.«
Manchmal frage ich mich, ob es ihn wirklich gibt.
»Elyse, es besteht die Möglichkeit, dass er dich nicht liebt.«
»Vielleicht liebe ich ihn nicht.«
»Nein. Hör mir zu. Es besteht die Möglichkeit, dass er sich überhaupt nicht ernsthaft für dich interessiert. Egal, was er sagt, egal, was du empfindest, das ist alles nicht real.«
»Er karikiert Stimmen. Er macht Pepé le Pew nach.«
Kelly befestigt die losen Strähnen ihres Haares wieder im Knoten. »Meinst du das Stinktier?«
»Ja, das französische Stinktier in den Cartoons. Pepé le Pew.«
»Pepé le Pew war ein Vergewaltiger.«
»Pepé le Pew war kein Vergewaltiger.«
»Ich glaub’s nicht, dass wir in unserem Leben an einem Punkt angelangt sind, wo du so etwas für romantisch hältst. Mein Gott, was ist mit dir passiert? Du warst einmal Ballkönigin.«
»Nein, wirklich, er hat sich meine Beine um die Schultern gelegt und dabei gesehen, dass ich diese Blutergüsse habe. Er zog meinen Fußknöchel zu seinem Gesicht und sagte - ganz französisch: ›Sie hat sich selbst verletzt, um mir ihre Liebe zu beweisen. Es ist seltsam, ja, aber romantisch, nicht wahr?‹« Ich warte, aber von Kelly kommt keine Reaktion.
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