Ein Mann zum Abheben
ich es jetzt weiß? Ich muss an die erste Unterhaltung denken, die wir jemals miteinander geführt haben, irgendwo in der gefährlichen Luft zwischen Phoenix und Dallas, in der er mir erzählt hat, dass man nie jemanden loslässt, der sich in Schwierigkeiten befindet. Solltest aber du derjenige im freien Fall sein, wird es als ehrenhaft angesehen, wenn du dein Seil kappst und dafür sorgst, dass du niemanden mit dir hinunterziehst. Solche Spiele erfordern, so erklärte er mir, ein hohes Maß an Vertrauen. Nicht nur den Glauben, dass der andere durchhält, denn durchzuhalten ist der leichte Teil. Der schwerere Teil ist das Vertrauen darauf, dass der andere weiß, wann er loslassen muss.
»Wir könnten jetzt zum Hotel hinüberfahren.«
Er schüttelt den Kopf. »Du hast den Film geholt. Lass ihn uns anschauen.«
»Es gibt kein Happy End. Die Liebenden kommen am Schluss nicht zusammen.«
Er seufzt. »Ich halte es aus, wenn du es schaffst.«
Wir gehen ins Wohnzimmer, starten den DVD-Player. Wir sitzen auf der Couch, und ich lege meinen Fuß in seinen Schoß. Die Nazis bedrohen Paris. Ingrid kommt in eine Bar. Dort ist alles sehr schemenhaft. Sam spielt Klavier. Gerry hebt meinen Fuß hoch und küsst die Sohle. Dreißig Minuten nach Spielfilmbeginn klingelt das Telefon. Nancy. Sie fragt mich, ob ich schon Zeit hatte, mich einsam zu fühlen, und bevor ich ihr sagen kann, dass es nicht so ist, nicht wirklich, fängt sie an, die neuen Vorhänge zu beschreiben, die sie im Wohnzimmer aufhängt. Sie ruft eigentlich nicht wegen der Vorhänge an. Sie ruft an, um Einblick in die
Situation zu erhalten, um zu erfahren, ob ich sie bei der nächsten Beratung mit dabeihaben will, falls Phil und ich tatsächlich wieder zur Eheberatung zurückkommen. Sie ruft an, um mir zu zeigen, dass sie mir die vielen Schwierigkeiten, die ich gemacht habe, verzeiht. Sie vergibt mir, dass ich eine Spinnerin und unzufrieden bin. Sie weiß nicht, dass ich eine Schlampe bin, aber würde sie es wissen, würde sie mir auch das verzeihen. Nancy fragt, ob ich vielleicht nächste Woche irgendwann Lust hätte, mit ihr zu den Outlets zu fahren und mir das Material anzusehen. Sie schätzt meinen Sinn für Farben. Außerdem würden wir nie irgendetwas zusammen unternehmen, nur sie und ich. Wir könnten einen Tagesausflug daraus machen.
Ingrid Bergmann verlässt Humphrey Bogart, und ich kenne genug von dem Film, um zu wissen, dass sie ihn mindestens zweimal, vielleicht sogar öfter verlassen muss. Einen Mann zu verlassen ist so schwer, dass es nicht immer gleich beim ersten Mal funktioniert, nicht einmal in Spielfilmen. Gerry ist ganz in ihre Geschichte vertieft und hält zärtlich meine Füße, einen in jeder Hand, während Nancy über Ausführungen und Gardinenstangen und dem Preis von alldem spricht. Sie sagt, egal wie sorgfältig man plant, es kostet immer mehr, als man denkt.
Es besteht keine Notwendigkeit, ihr zu antworten, nur ab und an ein Murmeln reicht. Und ich liebe Gerry dafür, dass er nicht fragt, wer am Telefon ist, dass er es auch später nicht macht, wenn wir zurückspulen und die Stellen, die ich verpasst habe, nochmal abspielen. Ingrid weint. Sie weint so wunderschön. Vielleicht fast so wunderschön wie Elizabeth Taylor, obwohl ich mich allein schon bei dem Gedanken treulos fühle. Nancy sagt, sie mag ein weiches Grün, den Ton zwischen Moos und Salbei, aber vielleicht ist Grün ja zu viel, vielleicht wird sie sich mit der Zeit satt daran sehen
und ist vielleicht glücklicher, wenn sie bei Blau bleibt und nur von Lavendelblau zu Kobaltblau wechselt. »Jeff würde mich für verrückt halten, wenn ich Blau durch Blau ersetze. Aber du weißt ja, wie Männer sind. Du kannst ihnen nicht klarmachen, dass es eine Menge verschiedener Blautöne gibt.«
»Richtig«, sage ich. »Eine Menge verschiedener Blautöne.«
Als sie auflegt, bin ich nicht mehr böse auf sie.
Genau eine Stunde und zwanzig Minuten später, obwohl wir nicht messen und nicht zählen müssen … Genau eine Stunde und zwanzig Minuten später, nachdem ich mich in der Dusche an Gerry angelehnt und ihm erlaubt habe, mir die Haare zu waschen … nachdem ich meine Hände gegen die gekachelte Wand gestemmt und mich nach vorne gebeugt habe, damit er meine Beine einseifen kann, zuerst das eine, dann das andere, und dann »wechseln« gesagt habe, während ich mich vor und zurück bewegt habe und mich die Sanftheit in seiner Stimme an meinen Vater erinnert hat … Genau eine Stunde
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