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Ein Mann zum Abheben

Ein Mann zum Abheben

Titel: Ein Mann zum Abheben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Wright
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Natürlich ist sie davon ausgegangen, dass sie an mich geschrieben wurden. Und dann - man kennt das ja - hat sie sich verpflichtet gefühlt, es meinem Mann zu sagen. Wie hätte das alles anders ausgehen sollen? Ich schaue sie an, der bloße Neid steht ihr ins Gesicht geschrieben. Es ist der gleiche Gesichtsausdruck, der sich hundertprozentig auch bei mir widergespiegelt hatte, als ich die Briefe zum ersten Mal las, der gleiche Ausdruck, der sich im Gesicht jeder Frau widerspiegelt, die Zeugin der Liebesgeschichte einer anderen wird - oder glaubt, es zu sein. Sie hat die Briefe gelesen und sie dann dem Mann überreicht, der jetzt auf mich zukommt,
der Mann, der nicht fähig gewesen ist, das Mieder und die Strümpfe wiederzuerkennen, die ich an jenem ausschlaggebenden Abend getragen habe, als er gegrinst und mich gefragt hat, wer ich versuchen würde zu sein. Sein Gesicht ist aschfahl, und er nimmt zwei Stufen auf einmal, rennt fast. Den Beweis gegen mich hält er in Händen, die Liebesbriefe einer anderen Frau und einen Stapel durcheinandergeratener Unterwäsche, die ich nur einmal getragen habe. Ich schaue die drei an, Belinda, deren ausgestreckter Arm sich noch immer zwischen uns befindet, als könnte sie Phil irgendwie zurückhalten, Nancy, die die große Tüte umklammert und deren Gesicht vor lauter Triumph glüht, und Phil, der glaubt, etwas verloren zu haben, das er nie besessen hat. Und dann höre ich mich selbst das Falscheste tun, was ich wohl tun konnte. Ich höre, wie ich zu lachen anfange.
    Die Briefe flattern aus Phils Händen.
    Ich sage: »Ich kann alles erklären.« Phil holt mit seiner Faust aus und trifft mich.
    Ich verstehe. Heute ist der Tag, an dem ich für alles, was ich getan habe, bezahlen werde. Nicht für so albernes Zeug wie Handschellen, nein, für die großen Dinge, wie den Versuch, glücklich zu sein. Phil holt erneut mit seiner Faust aus, Belindas Mann ist an meiner Seite, wirft den Kindern einen Nerfball zu, einen von denen, die einen sirenenartigen Ton von sich geben, wenn sie durch die Luft fliegen, und ich denke, dass Tory vielleicht unter ihnen ist.
    Ich sage: »Ich kann alles erklären.«
    Phil sagt: »Dieses Mal nicht.« Er öffnet seine Hand, schüttelt sie, als wäre sie nicht mehr durchblutet, dann formt er wieder die Faust, holt aus und trifft mich so heftig, dass ich mich drehe.
    Ich stehe schwankend am Rand der Kirchentreppe. Noch
nie zuvor bin ich geschlagen worden, noch nie zuvor war ich in einen Kampf verwickelt.
    Zwei Tage später wird Kelly Fotos von meinem Gesicht aufnehmen, drei, um sie an meinen Anwalt zu schicken und sie meiner Akte zuzufügen. Sie wird weinen, wenn sie durch das Kameraobjektiv schaut, sie wird mir immer und immer wieder erzählen, dass sie nicht glauben kann, dass das passiert ist, und ich werde ihr am Ende einen Drink machen. Sie wird mitten in ihrem Gästeschlafzimmer stehen und mir zuflüstern, dass die Blutergüsse in Wirklichkeit so viel schlimmer aussähen als auf dem Foto und wir vielleicht Make-up benutzen sollten. Ein bisschen dunklen Lidschatten, um die Farbe zu betonen, es wäre ja keine Lüge, überhaupt keine Lüge. Sie wird sich zu mir vorbeugen und fragen, warum ich die Briefe nicht verbrannt habe, warum nur habe ich das nicht getan, warum nur?
    Sobald ich wieder aufrecht stehe, will ich Kelly anrufen. Ich muss Kelly anrufen, sie wird kommen und Tory holen. Wo ist Tory? Ist sie dort drüben mit den Kindern und jagt dem Ball hinterher, oder ist sie drinnen? Bitte, lieber Gott, lass sie drinnen sein.
    Jemand schreit laut auf. Ich sehe Nancys versteinerte Miene, als ich an ihr vorbeitaumle, und ich weiß, was ihr durch den Kopf gegangen ist, als sie die Briefe gelesen hat, denn auch ich habe es gedacht. Sie hatte sich nur für einen Augenblick gefragt: »Warum sie und nicht ich?« Und ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn du dich diesem Neid hingibst, wenn du den Beweis in den Händen hältst, dass eine andere Frau auf eine Weise geliebt wurde, auf die du nicht geliebt wurdest. Ist das alles, was wir letztlich wollen? Sind wir wirklich so oberflächlich und dumm, dass unser Bedürfnis, geliebt zu werden, alles andere außer Kraft setzt, dass es unsere Arbeit, unser Zuhause, unseren Gott und selbst unsere
Kinder nur als Zeitvertreib erscheinen lässt? Nancys Gesicht ist sehr blass, sie legt sich die Hände ans Kinn und lehnt sich leicht nach hinten, so als wäre sie diejenige, die mit Fäusten malträtiert wurde. Sie hat sich verpflichtet

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