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Ein Mann zum Abheben

Ein Mann zum Abheben

Titel: Ein Mann zum Abheben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Wright
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und zwanzig Minuten später, nachdem wir unter einem der Sofakissen die Fernbedienung gefunden und die erste Runde von Jeopardy! angesehen haben … nachdem er in seinem Büro angerufen hat, um eingegangene Nachrichten zu checken … nachdem ich ihm die beiden Schachteln gezeigt habe, die ich bereits gepackt und im Schrank des Gästezimmers versteckt habe …
    Genau eine Stunde und zwanzig Minuten später ziehe ich ein Paar Handschellen aus einer Schublade und halte sie hoch.
    »Hey Pepé. Kommen dir die bekannt vor?«

    Als ich ein Kind war, las ich wie alle anderen auch die Superhelden-Comics und entschied - ich lebte in einer kleinen Stadt auf dem Land mit liebenswerten, besorgten Eltern -, dass ich am liebsten die Fähigkeit, mich unsichtbar zu machen, als Supermacht besäße. Dies musste meiner Meinung nach die ultimative Freiheit bedeuten, vielmehr noch als die Fähigkeit zu fliegen. Die Macht, die es mir erlauben würde, ohne beurteilt und gesehen zu werden, durch die Welt zu spazieren.
    Was ich nicht vorhersehen konnte, war, dass ich eines Tages diese Macht besitzen würde. Es ist leicht. Es funktioniert so: Heirate, bekomme ein Kind, ziehe bestimmte Kleidungsstücke an und fahre eine bestimmte Sorte Auto, und dann, unmittelbar vor deinem vierzigsten Geburtstag, erwachst du eines Morgens und stellst fest, dass dir dein Kindheitswunsch erfüllt wurde. Du bist unsichtbar geworden. Du kannst die Straße entlangwandern, mit deinem Geliebten Händchen halten, und keinem fällt auf, dass du an deinen Handgelenken Handschellen trägst. Andererseits bemerkt doch keiner jemals irgendetwas, oder? Die vergangenen neun Monate haben mir zumindest das beigebracht.
     
    Wir entschließen uns, einfach etwas zum Essen zu kaufen, verlassen das Haus und fahren zu dem Einkaufszentrum, wo Belinda und ich Lynn gesehen haben, wie sie Scones aß. Auf dem Parkplatz verbindet er sein linkes Handgelenk mit meinem rechten, und wir kämpfen uns durch dieselbe Autotür hinaus. Anschließend gehen wir, unnatürlich vereint, zu Dean & Deluca.
    »Ich verhungere«, sagt Gerry und zieht das Wachs von einem Block Gouda herunter, damit wir ihn während des Einkaufs essen können. Obwohl er den Preisaufkleber zum Bezahlen mitnimmt und sagt: »Das auch«, fühlt es sich an,
als würden wir etwas sehr Schlimmes, sehr Illegales tun. Wir haben zu viel gekauft, wie Leute, die nie wieder essen werden. Zwei kleine Hackbraten, ein Stück geräucherter Lachs, eine Schachtel mit buntem Paprikasalat aus roten, grünen, gelben und orangefarbenen Paprika und eine weitere mit kurz angebratenen Erbsenschoten. Ein Baguette, ein Glas Oliven, überdimensionale Frischkäse-Brownies, eine große Flasche Mineralwasser, eine Piccoloflasche Champagner und eine Banane. Alles Lebensmittel, die man mit einer Hand essen kann.
    Gerry und ich nehmen die Tüte mit nach draußen zum Brunnen, der gegenüber dem Geschäft liegt, und fangen an, alles auf einem Tisch auszubreiten. Für meinen nächsten Diätversuch muss ich mir merken, dass ich, wenn ich mit meiner linken Hand esse, in allem langsamer bin, und ich stelle fest, dass ich nicht annähernd so hungrig bin, wie ich gedacht hatte. Ich merke, dass ich mich mit weniger zufriedengeben kann, dass es mich nicht aufregt, wenn mir ein Bissen Lachs oder eine Ecke roter Paprika von der Gabel fällt. Irgendwann fängt Gerry an, mich zu füttern, und ich stelle mir vor, wie uns eine Frau von der anderen Seite des Vorplatzes aus beobachtet und zusieht, wie er mir eine Gabel in den Mund schiebt. Es wirkt, anders als in einem Film, linkisch. Eine Zinke sticht mich beim Mundwinkel in die Lippe, der Rand seines Plastiksektglases stößt gegen meine Zähne. Unter dem Tisch gleitet seine Hand zwischen meinen Oberschenkeln hoch und zieht dabei meine Hand mit. Die Logistik eines gemeinsamen Bananenschälens macht uns fast fertig. Wir kichern und genießen das jüngste unserer albernen, schwindelerregenden Geheimnisse.
    Ich bin so damit beschäftigt, dass ich nicht gleich die obdachlose Frau bemerke, die sich uns nähert.

    »Möchten sie ein paar Süßigkeiten haben?«, fragt sie. Sie verkauft Süßwaren.
    Gerry scheint ähnlich durcheinander zu sein. »Nein«, antwortet er. »Nein danke, wir haben genug«, als wäre sie eine Bedienung. Auf unserem Tisch stehen so viele Schachteln und Tüten. Die Frau bleibt stehen. Sie trägt einen Trenchcoat und sieht aus, als wäre sie schwanger. Der Mantelgürtel sitzt straff über ihrem festen Bauch,

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