Ein Mann zum Abheben
aber sie ist viel zu alt, um schwanger zu sein. Ich lege meine freie Hand auf Gerrys Arm.
Doch er fischt schon in seiner Gesäßtasche nach dem Geld. Gerry hält seine Geldscheine mit einem Gummi zusammen, die Frau bemerkt es und fragt: »Möchten Sie einen Geldbeutel?« Offenbar verkauft sie auch Geldbeutel. Geldbeutel und Süßwaren. Mit meiner rechten Hand und seiner linken Hand ziehen wir den Gummi von dem Geldhäufchen, das sich vor uns wie eine Blume aufblättert. Einer umringt von Zwanzigern und Zwanziger von Fünfzigern. Er zögert. Sollte die Obdachlose es komisch finden, dass sich ein Mann und eine Frau mit Handschellen aneinandergefesselt vor Dean & Deluca aufhalten, so sagt sie es nicht. Die Vorkommnisse in ihrem Leben haben sie eindeutig große Toleranz gelehrt.
Ich greife ins Seitenfach meiner Handtasche und ziehe einen kleinen filigranen Schlüssel heraus.
»Ich mach das«, sagt Gerry, doch ich habe ihn bereits befreit.
Er fischt zwei Fünfziger aus dem Stapel Geld. »Ich brauche keinen Geldbeutel, Ma’am. Aber nehmen Sie das, und vielen Dank.«
Die Frau schlurft fort. Sie bleibt nicht stehen, um die anderen Menschen an den anderen Tischen anzusprechen, die die ganze Szene mit einer gewissen Beunruhigung beobachtet
haben. In dieser Gegend der Stadt bekommt man nicht viele Obdachlose zu Gesicht.
»Du bist so gutmütig«, sage ich.
Er wird rot, will nicht, dass ich ihn für gutmütig halte.
»Nein, wirklich. Du hast ein reines Herz.«
Er schüttelt die Handschellen ab, sie fallen auf den Boden. Keiner von uns hebt sie auf. Gerry fängt an, die Geldscheine vom Tisch einzusammeln. »Selig sind die, die reinen Herzens sind.« Seine Stimme ist nicht ganz fest. »Denn ihrer ist … was ist ihrer? Was bekommen die, die reinen Herzens sind?«
»Sie erhalten das Königreich des Himmels«, erkläre ich ihm. Sie erhalten es drei- bis viermal am Tag.
Kapitel 41
Am Morgen des Barbecues fährt Phil mit Tory eine Stunde früher hinüber, damit sie den Flohmarkt mitaufbauen können. Ich bleibe zu Hause und backe Cupcakes, zweiundsiebzig, alle einzeln verpackt und mit Preis versehen, dann lade ich sie ins Auto und fahre zur Kirche.
Der Parkplatz ist bereits bis auf den letzten Flecken besetzt, und der Rasen ist voll mit Leuten. Ich muss mein Auto hinter dem Müllcontainer einparken. Eben mache ich mich auf den Weg zur Küche, um jemanden zu holen, der mir mit den Schachteln hilft, da sehe ich Belinda den Gehsteig entlang auf mich zukommen. Sie geht schnell.
»Du musst hier weg«, sagt sie. »Er weiß es, er weiß alles.«
»Was meinst du damit? Was weiß er?«
»Geh nicht hinein. Es ist nicht sicher.«
»Von was zum Teufel redest du? Wo ist Tory?«
»Ihr geht es gut, ihr geht es gut, aber geh nicht da hinein, Elyse. Er ist wirklich außer sich. Steig einfach ins Auto.«
»Ich gehe ohne Tory nirgends hin.« Ich halte auf die Eingangstür zu, Belinda springt nach vorn und packt mich am Arm. »Ich hole sie«, sagt sie. »Ich bringe sie zu Kellys Haus. Du fährst auch dorthin, und zwar sofort. Nancy hat gesagt, sie hat sich verpflichtet gefühlt, es ihm zu sagen. Du kennst sie ja. Sie hat sich dazu verpflichtet gefühlt, es ihm zu sagen, aber er ist sehr aufgeregt, Elyse, und du musst einfach ins
Auto einsteigen und losfahren.« Ich stehe auf der ersten Stufe zum Kirchenraum, als die Tür auffliegt und Phil herauskommt.
Seine Hände sind voll mit Briefen, und ich kann mit einem Blick sehen, dass es sich um Kellys handelt, die, die ich ihr versprochen hatte, zu verbrennen. Er geht die Stufen herunter, die Briefe in der Hand, und hinter ihm sehe ich Nancy in der Kirchentür, die eine leuchtend rosafarbene Tüte in der Hand hält. Jetzt wird mir alles klar. Sie ist zu meinem Kleiderschrank gegangen, wie ich es ihr gesagt hatte, um die Kleider für den Flohmarkt zu holen. Sie hat alle Tüten mitgenommen, einschließlich der leuchtend rosafarbenen von Frederica’s, in der sich Mieder, halterlose Strümpfe und High Heels befinden, die ich in dem vermasselten Versuch, meinen Mann zu verführen, vor Monaten gekauft habe. Wie konnte sie auf die Idee kommen, dass ich der Kirche Dessous stiften würde? Nein, natürlich ist sie nicht auf die Idee gekommen - sie hat ihren Fehler sofort bemerkt, als sie die Tüte aufgemacht hat, doch dann hat sie die Briefe darin gesehen. Nancy ist auch nur ein Mensch. Sie hat die Briefe gelesen. Diese Briefe, diese sorgfältig verfassten Briefe ohne Namen und Datumsangaben.
Weitere Kostenlose Bücher