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Ein Mann zum Abheben

Ein Mann zum Abheben

Titel: Ein Mann zum Abheben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Wright
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knapp.
     
    Keine Ahnung, woran Männer merken, dass es ihnen bessergeht, doch wenn Frauen sich von etwas erholen, lassen sie sich die Haare schneiden. Am dritten Tag nach New York wache ich auf, gehe ins Badezimmer, schaue in den Spiegel und denke: »Es ist Zeit, mir die Haare schneiden zu lassen.«
    8 Uhr morgens: Ich rufe den teuersten Friseur der Stadt an, bei dem sie mir sagen, dass bei Antonio unerwartet noch ein Termin frei geworden ist. Sie versichern mir, dass ich großes Glück habe - offenbar kommt das selten vor. Bei meiner Ankunft bringen sie mir die italienische Vogue und Mineralwasser und legen mir ein langes Aromatherapiekissen um den Nacken. Antonio bittet mich zu beschreiben, was ich mir vorstelle, ich sage ihm, dass ich einen Haarschnitt haben möchte, der mich attraktiv aussehen lässt, wenn ich flach auf dem Rücken liege. Er gibt diesen europäischen Ton von sich, der zwischen einem höhnischen Schnauben und dem Ausatmen von Zigarettenrauch liegt. Doch er geht sehr sorgsam mit meinen Haaren um und schneidet meinen Pony dreimal, damit er richtig liegt. Später erzählt er mir, dass er aus Tennessee stammt.
    10 Uhr 40: Mit elegant um mein Kinn flatternden Haaren kaufe ich Einwickelpapier für Belindas Geburtstagsgeschenk. Es dauert länger als erwartet, weil mich die Schönheit des Hallmark-Geschäfts festhält. Alles ist so fremd und exotisch, als wäre ich wieder in dem chinesischen Geschäft in Chelsea und würde zwischen den verstaubten Jadestatuen und Behältern mit aromatischen dunklen Teesorten herumlaufen. Ich wandere in den Gängen auf und ab und kaufe nach langer Überlegung Seidenpapier in Ballerina
Blue und dünne, ausgezackte Bänder, die man mit der Schere ringeln kann. Das wird für Belinda reichen, aber ich nehme auch einen Ball groben Bindfadens, zwei rote Seidenschachteln, die mit Konfetti gefüllt sind, eine Samttasche, die mit einer goldenen Kordel zugeschnürt ist, einen schimmernden Silberzylinder und olivgrünes Paisleypapier. All das kaufe ich, ohne einen Plan zu haben, wie und wann ich es benutzen würde. Ich lasse meine Hände über die Auslagen gleiten und berühre die Spitzen der Seidenbögen, als ob es Seeanemonen wären, die sich auf meine Berührung hin zurückziehen können. Ich hatte vergessen, dass das Leben so viel Struktur haben kann.
    11 Uhr 20: Bei Walmart kaufe ich fünfzehn Liter Blumenerde, bringe sie nach Hause, schleife sie in den rückwärtigen Garten und ramme ein Steakmesser in den Bauch des Sacks. Ich sammle alle Töpfe ein, die nicht recht zum Verkauf taugen, und hole meine Zimmerpflanzen heraus. Eine nach der anderen ziehe ich aus dem Behälter und setze ihre verwickelten weißen Wurzeln der Luft aus. Urplötzlich überfallen mich wahnsinnige Schuldgefühle. Die Wurzeln sind so stark ineinander verflochten, dass sie schon seit langem hätten umgetopft werden müssen. Nach den Wurzelpflanzen mache ich weiter mit den Zwiebelpflanzen. Ich ziehe am unteren Teil des Stängels, bis ein leises, kurzes Ächzen zu hören ist und das Erdreich die Blume in meine schmutzigen Hände entlässt.
    Die Zwiebelpflanzen sind sowieso meine Lieblinge. Sie erscheinen mir immer wie kleine Wunder mit ihrer Macht, sich selbst zu erneuern und sich immer wieder aufs Neue durch den Erdboden zu schieben. Sie haben in Töpfen, die von Spinnweben überzogen sind, den ganzen Sommer und Herbst über so geduldig in meiner Garage geschlafen. Ich halte jede Einzelne in meiner Hand, stelle mir vor, wie ich
ihr kleines, schlagendes Herz fühlen kann, und lege sie in viel größere Töpfe, bedecke sie mit frischer Erde, gieße Wasser darüber und überlasse sie mit einem kurzen Gebet um Vergebung für die Vernachlässigung, die sie erleiden mussten, ihrem Schicksal.
    An irgendeinem Punkt sehe ich die ganze Sache sehr emotional. Ich muss aufhören, mich in die Hängematte legen und weinen. Ich stelle mir vor, dass ich, sollte mich Phil heute Nacht fragen, warum ich meinen Ehering nicht trage, sagen kann: »Ich habe heute Nachmittag Pflanzen umgetopft.«
    Allerdings wird sich herausstellen, dass er nicht fragt.
    12 Uhr 40: Danach bin ich mit Blumenerde verdreckt, weshalb ich ins Haus gehe und bade. In letzter Minute gebe ich einen Spritzer Badegel ins Wasser. Die Flasche Vitabath steht seit Jahren im Badezimmerschrank, ich kann mich nicht erinnern, wer sie mir schenkte oder für was ich sie aufhob. Der Spritzer kommt mit einem lauten gelatineartigen Aufklatschen aus der Tube und macht den

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