Ein Mensch wie Du
ließ durch Caricacci, dem sie öfter schrieb, Grüße an Corani und gute Besserung bestellen.
Das Leben in dem weißen Haus über dem Lakonischen Golf war still, in sich gekehrt, aber voll inneren Glücks und tiefer Freude. Jeden Tag saß Krone in dem großen blühenden Garten und übte sprechen. Und wenn auch kein Laut von seinen Lippen kam, keine geformten Worte, kein Ton, so entrang sich seiner Kehle doch ein Krächzen, zunächst schauerlich anzuhören, aber später freudig begrüßt, wenn es lauter klang und weniger tierhaft. Wie hatte Dr. Bornhoff von der Berliner Charité gesagt: »Ihre totale hysterische Recurrenslähmung kann behoben werden, wenn es Ihnen gelingt, Ihre Großhirnhemisphäre, die durch einen Schock lahmgelegt wurde, wieder so anzuregen, daß sie die Nerven der Glottisöffner wieder arbeiten läßt und die Phonation langsam zurückkehrt. Bei den ersten Tönen – und wenn es nur ein Jaulen wie das eines Hundes wäre – haben wir viel gewonnen!«
Das Jaulen eines Hundes! Damals hatte ihn Krone entsetzt angestarrt, aber heute begriff er, was Dr. Bornhoff mit diesen Worten sagen wollte. »Jeder Ton, und ist er noch so gräßlich, ist ein Ton! Darauf kommt es an! Jeder Ton ist ein Stein, mit dem man die Straße zu einer Heilung pflastern kann.«
Greta Sanden trug die Schwere der Pflege, die sie mit dem Namen Krone übernommen hatte, mit Geduld und wirklicher Liebe. Kein Wort erinnerte mehr an die vergangenen Jahre … Sie setzte wieder dort an, wo Franz sie verlassen hatte, an jenem Tag im Kölner Hauptbahnhof, an dem sie weinend dem Zug nachgerannt war, der Franz nach München und damit für immer aus ihrer Welt entführte. Sie hatte, bevor sie nach Cattolico fuhr, alles verkauft, was sie in Köln besaß, die Möbel, das Radio, den Teppich, das Geschirr, all die kleinen Dinge, die sich im Lauf eines Lebens ansammeln und Gemütlichkeit und Vertrautheit in die sonst kahlen Wände eines Zimmers bringen. Sie hatte ihr Postsparbuch aufgelöst und das Geld über die Kölner Sparkasse in Devisen umwechseln lassen. Fast viertausend Mark waren es, die sie mit nach Italien und Griechenland brachte und auf der Staatsbank in Athen einzahlte. Noch besaß Franz ein sehr ansehnliches Bankkonto von seinen Konzerten und Opernabenden her, aber Greta wagte nicht daran zu denken, was geschehen sollte, wenn die hohen Rechnungen der Kehlkopfärzte voll bezahlt waren, Rechnungen, die – wie in Montreal – fast dreitausend Mark betrugen, ohne die Kosten für die Assistenten und die Röntgenaufnahmen, die jeweils ein anderer Professor machte. Wenn ihr diese schweren Gedanken für die Zukunft kamen, ging sie hinaus in den Garten zu Franz Krone und setzte sich still neben ihn. Sie sah ihm zu, wie er übte, wie er die Beete umgrub, die Blumen festband, das Gras mähte, das Obst erntete, neue Pflanzen setzte und die weiten Anlagen um das weiße Haus herum in Ordnung hielt. Dann wurde sie wieder froh und verscheuchte die bösen Gedanken und umarmte ihn manchmal impulsiv, küßte ihn und lief dann fort wie ein sich schämendes Mädchen.
»Jetzt bin ich doch wieder ein Gärtner«, schrieb Franz einmal auf seine Schiefertafel. »Und in einer größeren Gärtnerei als in Liblar. Wenn ich wieder sprechen könnte, würde ich ehrlich sagen: Ich bin glücklich! Ein Garten, ein Haus, Sonne, Meer und eine herrliche Frau – was will ich denn mehr vom Leben?«
In diesen Tagen fuhr er nach Patras, durch den ganzen Peloponnes, weil er gehört hatte, daß in Patras der bekannte japanische Arzt Tayo Kuranomu für einige Tage anwesend sei, um dann weiterzufahren nach Korinth. Dr. Kuranomu hatte sich einen Namen durch Strumaforschung und eine neuartige Methode der Ösophagusresektion gemacht. Seine Arbeiten in den medizinischen Wochenschriften waren eine kleine medizinische Sensation gewesen und wurden von der Fachwelt als Revolution der Ösophagus-Therapie angesehen. Diesen Arzt wollte Franz Krone sprechen. Vielleicht wußte er einen Weg, nur einen kleinen Hinweis, einen winzigen Strohhalm der Hoffnung.
Aber Dr. Kuranomu war an dem Tag, an dem Franz und Greta in Patras eintrafen, nach Korinth weitergereist. Durch die Vermittlung des Bürgermeisters von Patras bekamen sie ein Ferngespräch nach Korinth und hinterließen Dr. Kuranomu, daß er – wenn er Zeit und Lust habe – nach Gythion kommen möchte, wo ihn der Sänger Francesco Corani erwarte. Zu einer dringenden Konsultation. Einer sehr dringenden sogar.
Drei Tage später fuhr
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