Ein Mensch wie Du
keinen Ausweg mehr ließen, hindurchzuschlüpfen. Er fühlte sich seelisch nackt vor diesen schwarzen Augen, die ihn anstarrten und ihm fast einen fremden Willen aufzwangen.
»Sie kennen die Yogaschule?« fragte Dr. Kuranomu. »Mit ihr werde ich bei Ihnen beginnen. Mit Übungen der Selbstverleugnung und der Selbstbeherrschung, mit der Entpersönlichung Ihres Wesens. Dann sind Sie nur noch menschlicher Rohstoff, und aus diesem forme ich Sie neu!« Er schaute auf seine schlanken, langen, gelben Hände und lächelte das unergründliche Lächeln seiner Rasse. »Wir Asiaten sind der westlichen Welt immer ein Rätsel«, sagte er versonnen. »Man sieht uns als Träger geheimer Kräfte an. Es stimmt nicht, Herr Kammersänger. Wir machen nur alle Kräfte nutzbar, die im Menschen verborgen sind, Kräfte, die Ihre weiße Welt nicht erkannt hat. Der Mensch ist eine Strahlenmaterie … Er strahlt aus, und er empfängt, und mit diesen Strahlen kann er heilen und töten – ganz, wie er es beherrscht. Ich kannte einen Priester aus Tibet, aus der Tempelstadt Tsangpo am Quellfluß des großen Bramaputra. Er nahm einen Kopf in die Hand, er sah in die Augen, und er sagte: ›Du hast ein Geschwür im Bauch, aber es wird vertrocknen, es muß vertrocknen, denn ich will, daß es vertrocknet! Hörst du, ich will es!‹ Und das Geschwür vertrocknete … Ich habe es später unter dem Leuchtschirm des Röntgenapparates selbst gesehen! Sehen Sie – das sind die Strahlen des Willens, dem sich der andere Körper mit allen seinen Säften unterordnete.« Er beugte sich ruckartig vor – seine Augen stachen in Krone hinein, wie betäubt starrte er den Japaner an. »Und ich will, daß Ihre Stimme wiederkommt! Ich will, daß Sie wieder sprechen! Sie sind nicht krank. Sie sind auch kein Fremder, wie Sie glauben … Legen Sie Corani ab, werden Sie wieder Krone, voll und ganz … Ich will, daß Ihre Stimme wiederkommt …«
Als Franz Krone eine Stunde später am Arm des japanischen Arztes das dunkle Zimmer verließ und auf die sonnenüberflutete Terrasse trat, war sein Gesicht eingefallen, verzerrt, von Schweiß überströmt. Er schwankte und hielt sich an der Mauer fest. Greta, die in einem Sessel unter einem Sonnenschirm saß, sprang auf und stürzte auf ihn zu. »Franz!« schrie sie. »Franz – was hast du?! Mein Gott – wie siehst du aus?!«
Und Franz Krone öffnete die Lippen und sagte: »Ah.«
Klar und deutlich. »Ah.«
Er vernahm es, er hörte sich »ah« sagen, und er warf die Arme empor, als wolle er den Himmel herunterreißen. Mit einem Aufschrei fiel er ohnmächtig in die Arme Dr. Kuranomus.
»Er wird wieder sprechen«, sagte der Japaner lächelnd. »Er sagt schon ah …«
Sieben Wochen blieb Dr. Tayo Kuranomu in dem weißen Haus bei Ageranos. Er bewohnte zwei Zimmer zum Garten und zu den Klippen hinaus und nahm die seelischen Übungen immer in dem verdunkelten Zimmer neben der Terrasse vor. Nach jeder dieser Übungen war Franz Krone am Ende seiner Kräfte; meistens saß er dann in einem Liegestuhl und erholte sich mit einem Siphon Orangeade, oder er ging mit Greta schwimmen und legte sich auf einer kleinen Felseninsel im Golf von Lakonien in die Sonne. Dr. Kuranomu schrieb unterdessen in seinem Berichtsbuch über den ›Fall Corani‹ einige Seiten und berichtete von den Fortschritten seiner tiefenpsychologischen Experimente und den Entspannungsübungen in einer hypnotischen Halbtrance des Patienten.
Der Erfolg gab dem Japaner recht: Franz Krone konnte nach diesen sieben Wochen bereits lallen … Er sagte »ah« und »eh« und konnte sogar »ei«, wobei Kuranomu auf das I besonders Wert legte, weil es eine ausgeprägte Schwingung der Stimmbänder voraussetzt. Allerdings gelang ihm dieses wertvolle I nur in dem Zustand der Hypnose. Erwachte er aus seinem Trancezustand, war die Verkrampfung wieder vollkommen, die Großhirnhemisphären arbeiteten wieder aus eigenem Willen und lähmten die Glottisöffner. Aber schon der Beweis, daß in der Hypnose die Stimmbänder wieder schwingen konnten, ermutigte den Japaner, in seiner Methode fortzufahren. Er hatte damit klar erkannt, daß die Lähmung wirklich hysterischer Natur war und genau so schnell geheilt werden konnte, wie sie auftrat, wenn es ihm gelang, den Ansatzpunkt zu finden, auf den das schockierte Gehirn mit einem neuen Gegenschock – der Heilung – antwortete.
An einem Donnerstag fuhren Dr. Tayo Kuranomu und Greta nach Gythion, um einige Flaschen Wein einzukaufen und Fleisch zu
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