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Ein Mensch wie Du

Ein Mensch wie Du

Titel: Ein Mensch wie Du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Krone hatte Sokrates Pallidides auf der Strandpromenade kennengelernt, als er, auf einer Bank sitzend, einen Brief von Professor Glatt las, der ihn sehr erregte. Es war ein Brief, den er immer wieder lesen mußte und der eigentlich kaum begreifbar war. Professor Glatt schrieb:
    »Wenn Du diesen Brief erhältst, wirst Du glauben, es sei alles nicht wahr, was ich schreibe, und es sei alles nur in Worte gesetzt, um Dich zu trösten. Aber ich weiß, daß Du keinen Trost brauchst, sondern einen Menschen, der zu Dir steht und Dir die Kraft gibt, die Zeit der Heilung durchzustehen und die Stunden, in denen Du verzweifeln wirst, von Dir zu nehmen durch seine Liebe und seine Nähe.
    Ich habe noch einmal mit Dr. White in London und Dr. Bornhoff in Berlin gesprochen – beide sind der Ansicht, daß Du wieder sprechen wirst, wenn der seelische Schock, der wie ein Sperr-Riegel zwischen Dir und Deiner Stimme liegt, verblaßt ist.
    Um es Dir gleich zu sagen, damit Du nicht hoffst, es könnte von Sandra eine Wendung kommen: Sandra Belora ist seit zwei Wochen in den USA und singt in San Francisco und in einem Hollywoodfilm an der Seite des Baritons Ettore Constantino. Sie hat in ihm ein neues Opfer gefunden … Ich weiß aus sicherer Quelle, daß sie zusammen ein Haus in Beverly Hills bewohnen und dort auch Gesellschaften geben. Es ist schwer für Dich, mein Junge, ich weiß es, und ich verdamme die Stunde, in der ich Dich einmal mit Sandra bekannt gemacht habe. Aber ich muß es Dir schreiben, damit Du Klarheit hast und nicht mehr hoffst, sie würde wieder zu Dir kommen. Ich nehme an, sie hat Dir auch in den letzten Wochen nicht mehr geschrieben – nimm es als das gute Zeichen des Vergessens! Vergiß auch Du und sei stolz genug, ihr nicht nach Hollywood zu schreiben, weder in Vorwürfen noch in Bitten, zurückzukommen. Statt dessen wird in den nächsten Tagen ein anderer Besuch zu Dir kommen, den ich zu Dir geschickt habe, weil ich ihn für die beste Therapie Deiner Krankheit halte, besser als Elektroschocks und Massagen. Mit diesem Besuch verordne ich Dir eine echt menschliche Arznei und ich hoffe, daß Du nicht müde sein wirst, dieses Medikament wirklich mit Freude zu nehmen …«
    Das waren die Stellen des langen Briefes, die Franz Krone immer wieder las und an denen er herumsinnierte wie an einem Rätsel. Er konnte sich nicht denken, wer der Besuch sein sollte. Die Untreue Sandras erschütterte ihn weniger, als Glatt vermutete. Franz hatte es nicht anders erwartet, nachdem er in den letzten Monaten allein mit Professor Glatt nach Rom, Madrid, London, Berlin, New York und Montreal geflogen war, um von den besten Kehlkopfspezialisten nur zu hören, daß es gegen seine Krankheit keinerlei therapeutische Mittel gäbe, sondern nur Ruhe, Abwarten und eine langwierige Schockbehandlung. Da war er zurückgekehrt nach Cattolico, während Sandra neue Gastspiele gab und nur ab und zu an ihn schrieb, wie herrlich es in Lissabon oder wie wunderbar schön der Strand von Miami sei. Sie habe riesige Erfolge, ihre Stimme werde immer noch freier und klarer. Da zerriß er die Briefe … Die nächsten las er gar nicht mehr, sondern warf sie ungeöffnet in den Kamin seiner Pension. Vielleicht stand in einem dieser Briefe etwas von Trennung und von Ettore Constantino – es war ihm gleichgültig geworden wie alles, was hinter ihm lag. Ein stummer Sänger hat nichts mehr zu erhoffen – die Welt geht über ihn hinweg, das Leben will Gesunde, Starke sehen … Ihnen gehört die Erde, gehören die Menschen und die Erfolge. Er sah es ein, still, ohne zu jammern, ohne aufzubegehren, ohne anzuklagen oder sich gegen das Schicksal aufzubäumen. Er nahm es hin und unterdrückte den Schmerz in seinem Herzen mit ein paar Worten, die lautlos in den Raum gingen. Da wurde er wieder still und nickte wie einer, der in einen Spiegel blickt und statt des Gesichtes die entstellte Fratze der Lepra sieht. Auch er war ein Ausgestoßener, ein Mensch, der von jetzt an abseits stand; und so pflegte er wieder die Blumen und kehrte dorthin zurück, woher er gekommen war – zu der Natur, die ihm Trost gab durch ihr Wachsen, Blühen und in sich ruhendes Leben.
    An einem dieser Tage, an denen er an der Strandpromenade von Cattolico saß und über das Meer blickte, über die Zelte und bunten Wimpel des Campingplatzes, die Badekabinen und Sonnenschirme neben den Liegestühlen, setzte sich Sokrates Pallidides zu ihm auf die Bank und wischte sich den perlenden Schweiß von der Stirn.

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