Ein Mensch wie Du
er staute sich in der heißen, fast stillstehenden Luft.
Abseits von der Terrasse, in einem Beet voller Chrysanthemen, stand Franz Krone und harkte den steinigen Boden locker. Er war mit Staub überzogen, auf seinem Kopf trug er einen breitkrempigen, geflochtenen Strohhut, wie ihn die griechischen Weinbauern tragen. Dr. Kuranomu blieb stehen und sah dem Arbeitenden eine Weile zu. »Das ist gut«, sagte er dann und nickte vor sich hin. »Das festigt seinen gesundheitlichen Gesamtzustand.«
Sie traten aus den Maulbeerbüschen hinaus in die Sonne. Franz Krone sah sie kommen, warf die Geräte hin und eilte ihnen entgegen. Mit ausgestreckten Armen kam er auf Kuranomu zu.
In einem abgedunkelten Zimmer saßen sich Dr. Kuranomu und Franz Krone gegenüber. Die Jalousien waren vor die Fenster gelassen, nur durch die Ritzen der einzelnen Glieder streute die Sonne dünne goldene Fäden in den Raum. Ein wohltuendes, kühles Halbdunkel lag über dem großen Zimmer.
Dr. Kuranomu hatte seinen Kehlkopfspiegel hingelegt und nahm jetzt auch den Stirnspiegel von seinem Kopf. Er legte die Hände gespreizt gegeneinander und sah Franz Krone an, der erwartungsvoll in seine Augen schaute.
»Was die Laryngoskopie ergeben hat, brauche ich Ihnen nicht zu sagen«, begann Kuranomu die Unterhaltung. »Ich kann nur bestätigen, was meine Kollegen Ihnen gesagt haben. Nur über eines bin ich mir nicht im klaren: Warum?! Warum diese Lähmung? Ihr Kehlkopf ist gesund. Sie haben nie Diphtherie gehabt, kein Tumor ist zu sehen, auch eine Laryngitis liegt nicht vor. Sie haben eine ausgeprochen hysterische Lähmung des Recurrens, und das nur, weil Sie diese Lähmung wollten!« Franz Krone hob die Hände, aber Kuranomu winkte ab. »Täuschen Sie mich nicht! Sie wollten natürlich nicht diese Lähmung, aber irgend etwas in Ihrem Leben hat Sie dermaßen erschüttert, daß Sie Ihren Beruf als ›Wunderstimme‹ innerlich verfluchten. Und zwar so gründlich und – wie man sagt – tiefenpsychologisch verfluchten, daß Ihr an sich schon sensibles Gehirn sehr streng reagierte und einfach die Stimmbänder lähmte. Also – Hysterie im tiefenpsychologischen Sinne. Da helfen keine Schockbehandlungen und keine Pülverchen und Tröpfchen.« Der Japaner neigte sich vor. Sein gelbes, breites Gesicht mit den schmalen, schwarzen Augen lag dicht vor Franz Krone, der ihn fast ängstlich ansah. »Bleiben wir bei der Wissenschaft«, sagte Dr. Kuranomu. »Ihre Recurrenslähmung unterliegt dem sogenannten Semon-Rosenbachschen Gesetz: Die Nerven der Glottisöffner erlahmen schneller als die der Glottisschließer. Es muß also bei unserer Therapie darauf geachtet werden, daß wir diese Nerven – also die betreffende Hemisphäre im Großhirn – zu neuem Leben anregen. Sie sind so etwas wie ein Grenzfall der Medizin – eine bis heute nicht ganz erkannte tiefenpsychologische Schockerregung erzeugt eine ganz klare Diagnostizierung einer bekannten Krankheit des Larynx.«
Dr. Tayo Kuranomu lehnte sich wieder zurück und legte die Hände auf seine Knie. Dabei sah er plötzlich Franz Krone aus anderen Augen an. Sie waren größer, scharf, in ihrer glitzernden Schwärze fast beängstigend zwingend. Franz spürte den Blick und bemühte sich, wegzusehen. Aber es gelang ihm nicht, so sehr er seinen Willen anstrengte, ihn gegen Dr. Kuranomu zu setzen. Der Japaner lächelte leicht.
»Bemühen Sie sich nicht«, sagte er mit seiner sanften, singenden, hellen Stimme. »Wir werden uns noch öfter über Ihren Fall unterhalten. Fall nicht im medizinischen Sinne, sondern Fall in seelischer Hinsicht – Sie sind gefallen, Sie haben sich einfach fallen lassen, Sie haben einen Abgrund gesehen, und statt ihn zu überbrücken oder ihn zu umgehen, haben Sie sich mit geschlossenen Augen hineingestürzt in der Hoffnung, vielleicht auf dem Grunde des Abgrundes einen Fluß zu finden, der Ihren Sturz mildern und abfangen würde. Aber es war kein Fluß da … Sie schlugen auf den Steinen auf, Sie zerschellten – seelisch, moralisch, wenn Sie wollen. Und als Sie sich erhoben, erstaunt, daß Sie noch leben, waren Sie ein Seelenkrüppel! Das ist es, was ich aus Ihnen heraustreiben werde: die seelische Hemmung, die auch Ihre Stimmbänder lähmt. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich eine Zeitlang bei Ihnen in Ihrem Haus bleibe?«
Franz Krone schüttelte den Kopf. Er fühlte, wie ihm der Schweiß ausbrach, wie die unerbittlichen Worte des Japaners ihn zermarterten, ihn wie durch eine Mühle drehten und ihm
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