Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Mensch wie Du

Ein Mensch wie Du

Titel: Ein Mensch wie Du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
kurzen Augenblick erwacht und hatte mit leiser, oft stockender Stimme, unterbrochen durch Wimmern und Stöhnen, von den wenigen, entsetzlichen Sekunden berichtet, bis durch den Aufprall alle Erinnerung ausgelöscht worden war. Dann fiel sie wieder in tiefe Bewußtlosigkeit, aus der sie auch im OP des Krankenhauses von Sparta nicht erwachte.
    Schließlich übernahm es der Bürgermeister selbst, der Unglücksbote zu sein. Er zog seinen besten Anzug an, nahm sein besticktes mazedonisches Käppi und stieg den Berg hinauf zu dem großen Garten. Da er dort niemand sah, entschloß er sich zu schellen. Er drückte auf die Klingel neben der Tür und sah kurz darauf, wie der stumme Hausherr mehr laufend als gehend den Weg herabkam und zum Tor eilte. Schon als er ihn sah, nahm der Bürgermeister sein Käppi ab und drehte es verlegen in den Händen. »Wie soll ich es sagen?« durchfuhr es ihn. »Welche Worte soll ich nehmen? … Wie soll ich überhaupt anfangen …?« Er wünschte sich, tief unten in einem sehr großen Weinkeller zu sein und nicht hier oben unter der brennenden Sonne vor den Augen eines großen Mannes, der ihn forschend ansah, als er das Tor aufschloß.
    »Guten Tag«, sagte der Bürgermeister und trat zögernd auf den Kiesweg. Er begann zu schwitzen und schnaufte laut. »Ich – ich soll Ihnen etwas bestellen …« Er schwieg wieder und sah Franz Krone an. In den Augen des Stummen stand eine große Frage. »Wenn er doch bloß sprechen könnte«, dachte der Bürgermeister. »Dann würde man alles viel leichter sagen. Aber so … Einem Stummen …« Er wischte sich den perlenden Schweiß mit dem Jackenärmel von der Stirn. »Es ist nämlich …« Er schluckte krampfhaft. »Sie kennen doch die Straße nach Gythion … Dort, wo sie enger wird und zum Meer hin abfällt …«
    Franz Krone nickte. Er fühlte, wie es durch seinen Körper zuckte, wie etwas Unbekanntes, Ängstliches, Entsetzliches in ihm emporkroch.
    Der Bürgermeister schluckte wieder und atmete tief. »Dort, auf der Straße, genau an der engsten Stelle, saß ein Hund. Ein räudiger, verfluchter, stinkender Hund! Ein Saustück von einem Hund! Und gerade, als der Hund da saß, kam das Auto … Ihr Freund bremste … Er ist ein Tierfreund, ein großer Tierfreund … Er bremste … Und der Wagen …« Der Bürgermeister sah zu Boden und schwieg.
    In Franz Krone brach etwas zusammen. Er spürte es deutlich, es war, als krache es in seiner Brust, als stürze wieder ein Felsen ein wie damals in Epidauros und begrabe ihn diesmal wirklich wie einen lebenden Toten. Der Himmel wurde dunkel, die Sonne verblaßte, die Gärten, die Felsen, das Meer wurden aufgesogen von einer Dunkelheit, die plötzlich wie von einem Blitz zerrissen wurde und grell sein Inneres zerriß. Er warf die Arme vor, er umklammerte den bebenden Bürgermeister, und dann brach aus seinem Mund, aus seinem stummen Mund ein Schrei, so gellend, unmenschlich und nie gehört, daß der Bürgermeister sich beide Ohren zuhielt und die Augen vor Grauen schloß.
    Der Kopf Krones sank auf die Schulter des zitternden Mannes. Und dann hörte der Grieche etwas, was ihn in die Knie fallen ließ, was ihn zu Boden warf wie zu einem Gebet. Der Stumme sprach … »Greta …«, sagte er leise, ganz klar und deutlich, »Greta …«, und dann lauter, immer lauter, als wolle er es selbst hören, als solle dieses Wort nie mehr versiegen, schreiend und sich überschlagend: »Greta! Greta! Greta!«
    Er ließ den betenden Bürgermeister im Kies liegen und rannte den Weg hinab, die Hände um den Kopf gepreßt und den Namen immer wieder rufend, bis seine Stimme zwischen den Felsen erstarb und die Stille wieder vollkommen war.
    Und er konnte noch sprechen, als er Stunden später im Hospital der Barmherzigen Brüder von Sparta an dem weißen Bett Gretas saß und ihre blassen, schmalen Hände hielt. Sie war noch nicht erwacht. Ein dicker Verband hüllte ihr Gesicht ein, ihr Rücken lag in einer Wanne aus Gips. Röchelnd, unregelmäßig und ab und zu aussetzend ging ihr Atem.
    Der Arzt, ein junger Spartaner, stand neben dem Bett und zog eine Cardiazol-Injektion auf. »Wir müssen noch röntgen«, sagte er leise. »Wir vermuten, daß es eine ernsthafte Rückgratverletzung ist.«
    »Ich werde sofort mit Berlin sprechen«, sagte Franz Krone. Er lauschte dem Klang seiner Worte. Sie waren rauh, aber man vernahm sie. Er dachte sie nicht mehr, er sprach sie aus. Er konnte sprechen, er war wieder ein Mensch … Da senkte er den Kopf

Weitere Kostenlose Bücher