Ein Mensch wie Du
holen. Greta hatte am Sonntag Geburtstag, und man wollte diesen Tag in aller Stille auf den Felsen im weißen Haus feiern – den ersten Geburtstag Gretas als Frau Krone. Franz blieb zurück. Er arbeitete wieder im Garten und wollte einige große Klematisranken festbinden und mit ihnen einen Teepavillon umranken lassen, den Pallidides hatte verfallen lassen und den Franz in diesen Monaten wieder aufgebaut hatte. Er winkte ihnen von einem Vorsprung des Felsens, von dem man die Straße nach Gythion übersehen konnte, zu, als sie in den Nash des Japaners stiegen und in schneller Fahrt die Küstenstraße entlang nach Norden fuhren.
Es war ein schöner, sonniger, etwas dunstiger Vormittag. Vom Meer herüber wehte ein leichter Wind, der die Felsen kühlte und das Obst an den Bäumen wiegte. Franz setzte sich unter das Sonnendach der Terrasse und las die französischen Zeitungen, die Dr. Kuranomu von seinem letzten Besuch Gythions mitgebracht hatte. Die laute Welt außerhalb des weißen Hauses von Ageranos verblüffte Krone immer wieder. Man stritt sich um Nichtigkeiten. Morde, Selbstmorde, Überfälle füllten die Seiten, politische Spannungen erregten die Parlamente, Streiks legten Industriebetriebe still, Demonstrationen wurden niedergeknüppelt – er las das alles wie ein Mensch, der von einem fernen Stern die kleine Erde betrachtet und nicht weiß, warum dies alles geschah. Hier, in der Einsamkeit der Felsen und des Meeres, umweht von der Salzluft des Mittelmeeres, waren die erregenden Probleme alle so klein und nichtig, war das Leben im Grunde so einfach und damit so schön, daß es ihm unverständlich wurde, warum die Menschheit sich in Leidenschaften verzehrte und Probleme aufwarf, die den gottgewollten Rhythmus des Lebens störten und verdarben. Er fühlte jetzt die Ausgeglichenheit, die von ihm Besitz ergriffen hatte, die wundervolle Ruhe seiner Seele; er erkannte den Sinn des Lebens: als Mensch nur ein Stück der Natur zu sein, die ihm dafür dankte mit den Schätzen ihres Wachsens und Reifens.
Aber die Probleme des lauten, äußeren Lebens gingen auch an ihm nicht vorbei. Das weiße Haus hatte er Pallidides bezahlt – seine Konten in Frankreich und Italien waren damit geräumt. Die Ärzte in Berlin, London, Paris, Montreal und New York hatten ihre Honorare erhalten – was ihm auf den Banken blieb, waren geringe, kaum nennenswerte Beträge. Dr. Kuranomu hatte noch keine Rechnung vorgelegt, aber sie würde nicht niedrig sein, und er würde sie sofort bezahlen, das wußte er. Was dann kam, war eine Zukunft, an die er nicht denken mochte. Er würde allein auf den Erlös angewiesen sein, den ihm sein Garten einbrachte, der Verkauf von Blumen und Früchten an die Touristen, die nach Sparta kamen, um die klassischen Stätten zu besichtigen und ihre humanistischen Erinnerungen aufzufrischen. Vielleicht konnte er auch eine Samenhandlung gründen und wertvolle, seltene Blumensorten exportieren – es würde sich alles zeigen und im nächsten Jahr entscheiden. Mit Greta sprach er nicht darüber, er wollte ihr das Leben nicht noch schwerer machen, als es an sich schon war. Manchmal bewunderte er sie, wenn sie lachend und trällernd durch den Garten ging, neben ihm auf der Terrasse saß und geduldig die vielen, vielen Sätze las, die er auf seine Tafel schrieb, in einem Mitteilungsdrang, der oftmals beängstigend war. Er wurde dann eher müde vom Schreiben als sie vom Lesen. Dann saßen sie stumm nebeneinander, eng aneinandergelehnt, und blickten über das Meer, das tiefblau sich in der Sonne wiegte oder sich bei Sturm grünschillernd und brüllend die Felsen hinaufdrängte.
Nachdem er die Zeitung gelesen hatte, ging Franz, die Klematisranken festzubinden und um die Laube zu ziehen. Er blickte kurz auf seine Armbanduhr, es war halb zwölf Uhr – in einer Stunde würden Greta und Dr. Kuranomu wieder um den Felsen im Hintergrund biegen und die schmale Straße zu dem weißen Haus hinaufbrummen. Bis dahin wollte er seine Arbeit getan haben. Nach dem Mittagessen und einer Stunde Ruhe würde dann Dr. Kuranomu wieder in dem abgedunkelten Zimmer sitzen und ihn seelisch zermürben – wie Franz es nannte. Jeden Tag schauderte ihn vor dieser Stunde in dem dunklen Zimmer und den stechenden schwarzen Augen des Japaners, aber jeden Tag ging er wie unter einem Zwang in das Zimmer und setzte sich wie ein gehorsamer Schüler in den Sessel, dem kleinen, gelben Mann gegenüber, der ihn mit aneinandergelegten Händen wie die Statue
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