Ein mörderischer Sommer
verkehrt herum da und ist nicht angeschlossen.
»Du darfst es nicht benutzen!« schreit Eve plötzlich.
»Eve, ich muß die Polizei anrufen!«
»Nein! Ich weiß, was du in Wirklichkeit tun willst. Du willst ein Krankenhaus anrufen. Du glaubst, ich bin verrückt! Du willst, daß sie mich holen kommen! Das hat Brian ausgeheckt!«
»Nein, Eve, ich schwöre …«
»Ich will, daß du abhaust!«
»Eve, ich weiß jetzt, wer mich die ganze Zeit angerufen und mir mit Mord gedroht hat! Es ist der Junge vom Pflegeheim. Vielleicht ist er sogar der Vorstadtwürger! Ich muß die Polizei anrufen!«
»Nein!«
Eve ist ebenfalls aufgestanden, zitternd entwindet sie Joannes Händen das Telefon, schleudert es quer durch den Raum, brüllt triumphierend auf, als es an die gegenüberliegende Wand kracht. Farbe splittert ab, und zurück bleibt ein großer, blutfarbener Fleck.
»Raus hier!« schreit Eve. »Hau ab, bevor ich dich selbst umbringe.«
»Eve, bitte …«
»Raus hier!«
»Ruf Brian an«, fleht Joanne, während sie, sich vor Eves Fäusten duckend, aus dem Zimmer rennt. »Bitte, sag ihm, ich weiß, von wem die Anrufe kommen, ich weiß, wer der Killer ist. Sag ihm, er soll mich anrufen …«
»Raus!«
Eve bückt sich und ergreift ein Buch, das am Boden liegt. Joanne sieht, wie sie es auf sie schleudert, aber sie kann sich nicht schnell genug bücken. Hart knallt es gegen ihren Rücken. Mit Tränen in den Augen läuft sie die Treppe hinunter. Hinter ihr brüllt Eve noch immer. Sie erreicht die Haustür, öffnet sie und flieht in die Nacht hinaus.
Sekunden später ist sie an ihrer eigenen Haustür. Sie kramt in den Taschen ihrer Jeans nach den Schlüsseln. Sie hört etwas neben sich und dreht sich ruckartig um. Da ist nichts. »Reg dich ab«, sagt sie sich. »Ganz langsam! Nur keine Panik! Irgendwo werden deine Schlüssel schon sein. Du hast sie in die Tasche gesteckt.« Schweigend betet sie, die Schlüssel mögen nicht während des Tumults bei Eve herausgefallen sein. »Sie müssen einfach da sein«, schreit sie. Endlich findet sie sie in der Gesäßtasche, versteckt unter einem alten Papiertaschentuch. »Gott sei Dank«, murmelt sie, steckt den Schlüssel ins Schloß und öffnet die Tür. Schnell schließt sie sie hinter sich und wendet sich noch in der gleichen fließenden Bewegung dem Alarmkästchen zu.
Das Alarmlicht ist nicht an.
»O nein, nicht schon wieder«, jammert sie. »Wie konnte ich nur so dumm sein! Welchen Sinn hat denn eine Alarmanlage, wenn ich andauernd vergesse, das verdammte Ding anzuschalten?« Wütend drückt sie auf den Knopf, der das System in Bereitschaft versetzt. Dann holt sie tief Luft und geht zum Telefon. Sie wählt den Notruf – 911.
Nach dreimaligem Klingeln wird am anderen Ende der Leitung abgehoben. »Hallo«, beginnt Joanne, »ich hätte gerne einen Polizisten …«
»Hier ist der Polizeinotruf.«
»Ja, ich hätte gerne …«
»Dies ist eine Tonbandaufnahme. Im Moment sind alle unsere Leitungen besetzt …«
»O Gott!«
»Falls Sie polizeiliche Hilfe benötigen, warten Sie bitte; sobald wie möglich werden wir uns um Ihren Anruf kümmern. Wenn Sie wollen, daß ein Streifenwagen zu Ihrem Haus kommt, hinterlassen Sie bitte Ihren Namen und Ihre Adresse. Sprechen Sie bitte nach dem Pfeifton …«
Joanne legt auf. Sie reibt sich die Stirn. Welchen Zweck hätte es, Namen und Adresse zu hinterlassen? Sofort nimmt sie den Hörer wieder auf und wählt noch einmal die Notrufnummer. Der Zweck heißt Überleben, sagt sie sich. Noch einmal hört sie die Tonbandansage. »Joanne Hunter«, sagt sie nach dem Pfeifton, danach gibt sie ihre Adresse an. »Es ist sehr dringend«, fügt sie hinzu. Sie beschließt, am Apparat zu bleiben für den Fall, daß ein menschliches Wesen ihren Hilferuf beantworten sollte.
Genau dreißig Minuten später hört Joanne, daß ein Auto vor dem Haus hält. Sie wartet auf das vertraute Geräusch von Schritten auf der Vordertreppe, auf ein lautes Klopfen an der Haustür, aber nichts ist zu hören außer der Tonbandmusik aus dem Hörer, den sie in der Hand hält.
Sie umkrampft den Hörer; ihre Gelenke sind ganz steif. Sie beugt den Kopf zurück, so weit es geht, hört das Knacken, fühlt die Verspannung in den Schultern. Langsam, vorsichtig hebt sie den Kopf; ihr Blick fällt auf die Schiebetür.
Sie sieht ihn in der Dunkelheit stehen; das Gesicht gegen die Scheibe gepreßt, so stiert er hinein. Bevor sie Zeit zum Überlegen hat, die Uniform erkennen kann,
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