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Ein Mund voll Glück

Ein Mund voll Glück

Titel: Ein Mund voll Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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der Emir die grobe Molarenzange erfolglos erprobt hatte.
    Auch der Anblick, der sich dem Doktor im Salon bot, brachte keine Überraschung. Der Emir thronte mit seiner ganzen gewaltigen Leibesfülle auf dem resedagrünen Sofa, und die Herren seiner engeren Umgebung kauerten auf bunten Lederkissen um den niedrigen Tisch herum, schlürften aus winzigen Tassen tintenschwarzen Mocca und versüßten sich das Dasein mit Konfekt aller Art, das sich in großen Schalen aus handgetriebenem Silber türmte. Ein schwarzer Zwerg in buntem Pludergewand versorgte die Kaffeemaschine und füllte die Tassen, wenn sie leer waren. Neu in dieser Kulisse aus Tausendundeiner Nacht war nur ein blonder junger Mann, der zu Füßen des Emirs in einem roten Kamelsattel hockte und in der nasalen Stimmlage eines Muezzin aus einem Folianten arabische Verse zitierte.
    Der Doktor und Irene verbeugten sich zu einem Salaam. Der Emir winkte ihnen huldvoll zu und gebot seinem blonden Vorleser, die Matinee zu unterbrechen. Der junge Rezitator klappte den Folianten zu, legte ihn auf den Teppich und wuchs aus seinem Kamelsattel zu der stattlichen Länge von zwei Metern und fünf Zentimetern empor. Er schien Zirkulationsschwierigkeiten in den Beinen zu haben...
    »Das ist Herr Kroll«, sagte Irene und ließ die Hand zwischen Herrn Kroll und Werner Golling hin und her wedeln, »und das ist Herr Dr. Golling.«
    »Ein Glück, daß Sie kommen, Herr Doktor Golling«, röchelte der junge Mann heiser, »ich stehe dicht vor einer Stimmbandlähmung.«
    »Sind Sie denn als Rezitator engagiert worden?«
    »Ach was! Ich wollte diesen Brüdern, die ihren Pfefferminztee vor fünf Jahren noch auf Kamelmist kochten, doch nur zeigen, daß es auf der Welt noch etwas anderes gibt als Erdöl, Geld und Geschäfte. Schönheit, Poesie...«
    »Und jetzt haben sie Blut geleckt und können nicht genug davon kriegen, wie?«
    »Genauso ist es«, seufzte Herr Kroll.
    »Jetzt haben Sie für eine Weile Pause«, sagte der Doktor und trat nach einer neuerlichen Verbeugung an seinen hohen Patienten heran, »und nun sagen Sie dem Emir, daß ich mit der Behandlung beginnen möchte. Ich brauche dazu einen kleinen Tisch, eine Karaffe mit lauwarmem Wasser, ein Glas, ein Handtuch und einen Eimer, damit der Dicke uns nicht wieder vor die Füße spuckt.«
    Herr Kroll gab die Wünsche des Doktors an das Gefolge des Emirs weiter. Und während sich der Doktor nach des Emirs Befinden erkundigte und mit dem hohen Herrn in miserablem Englisch einige Höflichkeitsfloskeln wechselte, wurden der Tisch, das Handtuch, die Wasserkaraffe und das Glas herbeigeschafft. Nur ein Eimer war nicht aufzutreiben, und so mußte schließlich eine leere Blumenvase seinem Zweck dienen. Irene öffnete derweil die Ledertasche und breitete die Instrumente säuberlich auf dem Tisch aus. Auch die Tuben und Tinkturen bekamen ihren Platz. Dann band sie dem Emir das Handtuch um den Hals und reichte ihm ein Glas mit lauem Wasser, in das der Doktor ein paar Spritzer einer antiseptischen Lösung hineintat.
    »Bitte, dreimal spülen und in die Vase spucken, Hoheit!«
    Herr Kroll übersetzte die ärztliche Anordnung, und der Emir tat, was von ihm verlangt wurde. Danach leuchtete der Doktor die Mundhöhle des Emirs mit einer Stablampe ab. Der Heilungsprozeß war erstaunlich gut vorangeschritten. Der Doktor pinselte das Zahnfleisch des Patienten mit einer braunen Tinktur ein, deren Jodgeschmack den Emir das Gesicht verziehen ließ. Der Doktor wandte sich an Herrn Kroll: »Sagen Sie dem Emir, daß sein Zustand zufriedenstellend ist. Ich werde es riskieren, ihm nach zwei Tagen einen Abdruck zu nehmen. Und wenn das Labor rasch arbeitet, dann kann er zwei Tage später seine neuen Zähne in die Hammelkeulen schlagen. Und jetzt darf er sich für drei Minuten erholen.«
    Der Emir schloß den Mund und versuchte, sich aus seiner halb liegenden Stellung aufzurichten. Als es ihm trotz allen Ächzens nicht gelang, sprangen zwei seiner Leute herbei, griffen ihn bei den Armen und brachten seinen Oberkörper in die erwünschte senkrechte Lage. Die kurze Ruhepause, die der Doktor dem Emir gewährte, benutzte dieser zu einer kleinen Ansprache, die Herr Kroll wortgetreu übersetzt. Der Emir bedauerte, daß der Doktor durch eine Verbrecherbande, die dem Schwert der Gerechtigkeit nicht entgehen werde, um sein wohlverdientes Honorar geprellt worden sei. Selbstverständlich habe er inzwischen einen neuen Scheck auf ein Konto ausstellen lassen, das er bei dem

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