Ein neues Leben auf dem Jakobsweg
das offene Feuer, das ich immer schon liebte. Nachdem er mir den Preis für die Übernachtung genannt hatte, stellte ich bei einem Blick in meine Geldbörse fest, dass nach der Begleichung der Zimmerrechnung lediglich fünf Euro blieben, ich noch ein Abendessen begehrte und bis Ponferrada auch noch Geld benötigen würde. Ich teilte ihm dies mit und musste an Carla denken. Dreißig Euro mehr hätten gereicht. Mein netter Gastgeber machte mir verständlich, dass dies kein Problem darstellen würde. Er schrieb mir eine Adresse von Verwandten in Ponferrada auf, wo ich die Rechnung am morgigen Tage begleichen könne. Ich dankte ihm und wunderte mich über soviel Vertrauen.
In meinem einfachen sauberen Zimmer standen drei Betten. Weil keines belegt war, hegte ich die leise Hoffnung die kommende Nacht alleine verbringen zu können. Ich duschte, zog saubere Sachen an und ging zum Restaurant, das sich nicht weit von meinem Quartier befand. Eine Kellnerin wies mir einen Tisch zu, als ich eintrat. Mir war nicht danach mein Abendessen alleine einzunehmen. Im gleichen Augenblick erblickte ich Norman, der sich angeregt mit einer blonden Frau unterhielt. Spontan ging ich zu ihrem Tisch und fragte, ob ich ihnen Gesellschaft leisten dürfe.
Norman stellte mich der jungen Frau vor. Sie kam, wie er, aus England, war Lehrerin und sprach zur meiner Freude sehr gut Deutsch.
Ich mochte Norman, der viel Lebensfreude und Positivität ausstrahlte. In ihm sah ich eher einen Komödianten denn Polizisten. Er muss ein guter Gesetzeshüter gewesen sein. Einige Pilger saßen alleine an ihren Tischen. Gegen zehn leerte sich das Restaurant. Norman und die Lehrerin mussten in die Herberge. Ich zahlte und spazierte durch den menschenleeren Ort, in dem die nächtliche Ruhe fühlbar war. Von einer Anhöhe aus erblickte ich ein Lichtermeer - Ponferrada.
Als ich die Tür zu meinem Quartier aufschloss, kam mir der riesige Hund entgegen. Obwohl ich Hunde sehr gerne mochte, löste sein Anblick doch einen leichten Schrecken in mir aus. Ich versuchte es mit einem Lächeln, das mir nicht so recht gelingen wollte. Langsam ging ich an ihm vorbei die Treppe zu meiner Schlafkammer hoch. Er verfolgte aufmerksam jeden meiner Schritte. Ich wünschte ihm eine gute Nacht. Nachdem meine Zähne ihre berechtigte Reinigung erhalten hatten, legte ich mich in ein frischbezogenes Bett, mit weißer Bettwäsche, und war glücklich, die Nacht alleine im Zimmer verbringen zu dürfen. Es war nichts zu hören, absolute Stille.
Um sieben stand ich auf, wusch mich, kleidete mich an und war überrascht, dass der Hund mich als einziges Lebewesen in der Küche begrüßte. Kein Anzeichen für ein bevorstehendes Frühstück, kein Kaffeegeruch, kein Toast. Mittlerweile zeigte der Uhrzeiger auf die acht. Ich wollte los, doch zuvor noch frühstücken, ging aus dem Haus und atmete die frische klare Luft ein.
Der Blick auf die umliegende Berglandschaft, die Ruhe, der Frieden und die Freiheit spiegelten mein Wohlbefinden wider. Viele Jahre habe ich von morgens bis abends vor einem Computerbildschirm verbracht. Nicht selten zehn, zwölf oder mehr Stunden. Und das sechs Tage die Woche. Mein Einkommen erfüllte mich mit Stolz. Doch mein Körper signalisierte mir mit einigen Erkrankungen, dass er meine Begeisterung für die vielen Überstunden nicht teilte.
Das Motorengeräusch eines Autos durchbrach die morgendliche Idylle. Der Hausbesitzer erschien, grüßte freundlich und bereitete das Frühstück zu. Mit mir im Hause befand sich ein weiterer Gast aus Deutschland, der gut spanisch sprach und mir einiges übersetzte während des Frühstücks zu dritt. Unser Gastgeber erzählte von außergewöhnlichen Begegnungen mit Pilgern in seinem Haus und spirituellen Gesprächen mit Menschen aus allen Kontinenten dieser Erde, die ihn und sein Leben bereichert haben. An der Art, wie er sich begeistert mitteilte, glaubte ich die Bedeutsamkeit der Konversationen nachfühlen zu können. Anmutiges lag in seinen dunkelbraunen Augen, die Stolz, Mut, Energie und Liebe ausstrahlten. Er war mir vom ersten Augenblick an sympathisch gewesen. Ich bedankte mich beim Abschied für sein Vertrauen und machte mich auf den Weg, in eine herrliche Bergwelt einzutauchen.
Während des Wanderns kam mir das Wort Vertrauen immer wieder in den Sinn. Jahre zuvor hatte ich es oft zusammen mit den Worten Loslassen und Erwartung in mein Tagebuch niedergeschrieben. Bei zahlreichen Gesprächen mit Pilgern habe ich erfahren, dass
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