Ein neues Leben auf dem Jakobsweg
Menschen, den Gesprächen und in der freien Natur fühlte ich mich heimisch. Ich genoss es, neue Menschen kennen zu lernen. Ich liebte es, fremde Landschaften zu durchwandern und neue Orte zu entdecken. Auch in Phasen der Müdigkeit, wenn meine Knochen schmerzten, fühlte ich Dankbarkeit. »No pain, no glory«, hörte ich oft, was die Pilgerphilosophie recht gut beschrieb. Der Mensch muss sich auf den Weg machen. Das muss nicht immer ein physikalischer Weg sein. Der Weg ins Innere lohnt sich ebenfalls. Doch auch für diesen Weg muss man sich aufmachen.
Am Ortseingang von Astorga sprach mich ein Mann an, der mir ein Bett in seiner Privatherberge anbot. Ich schaute auf die Uhr und sagte ihm, dass es zu früh sei und ich noch einige Kilometer wandern möchte. In der Innenstadt traf ich auf Martin, der mich informierte, wo sich die Herberge befand. Ich bedankte mich bei ihm und folgte weiter den gelben Pfeilen, bis ich vor der Kathedrale stand. Nachdem ich das prächtige Bauwerk besichtigt hatte, ging ich zur Herberge, die mir auf Anhieb gefiel. Ich stellte meinen Rucksack ab, ging zur Toilette und bekam das Gefühl, dass Astorga nicht der Ort war, in dem ich eine Nacht verbringen sollte.
So wanderte ich weiter. Hinter Astorga beginnt die hügelige Landschaft Maragatería, die sich bis zu den Bergen von León erstreckt. Mit der Maragatería verändert sich gleichzeitig das Landschaftsbild und geht in eine kargere Vegetation über. In einer kleinen Bar, in Murias de Rechivaldo, trank ich ein Gläschen Vino tinto, zu dem mir der Wirt Tapas reichte.
Von der Bar aus wanderte ich einige hundert Meter und trat dann durch das offene Tor in den Innenhof einer privaten Herberge. Eine junge Spanierin fragte mich, ob ich ein Bett haben möchte. Ich verneinte und erklärte, dass ich mir die Herberge lediglich ansehen wolle. Auf der Terrasse saßen zwei Frauen, die Kaffee tranken und Tapas aßen. Die Herberge, mit üppiger Blumenpracht geschmückt, Tischen und Stühlen im Innenbereich, glich einer Finca. Die Frauen luden mich zu ihrem Tisch ein und boten mir Speis und Trank an. Sie zeigten mir, wo in der Küche der Suppentopf stand, wo sich Teller, Bestecke und der Rotwein befanden. Ich fühlte mich wohl und war überrascht über die gastfreundlichen offenen Gesten. Aus einem der Schlafräume erschienen Tilo und Ulli, die von der Herberge begeistert waren. Natürlich blieb ich und lernte den Herbergsvater aus Brasilien kennen.
Im kleinen Speiseraum, unmittelbar neben der Küche, waren drei Tische für das Abendessen gedeckt. An einem der Tische saßen Ulli, Tilo und Roberto, als ich eintrat. Der Herbergsvater und ein spanischer Pilger hatten den Nachbartisch gewählt. Am dritten Tisch saßen zwei deutsche Pilgerinnen im Alter von 55 bis 60 Jahren. Ich stand in der Mitte des Raums und überlegte, zu welchem Tisch ich mich begeben sollte. Im gleichen Moment, in dem ich mich in Richtung Ulli orientierte, bot mir eine der Pilgerinnen ein Glas Wasser an. Daraufhin änderte ich mein Vorhaben und setzte mich zu den Frauen. Eine spannende, intensive Konversation über Gott, das Leben, den Tod, Pilgerschaft und Weltpolitik fand seinen Ursprung. Als ich kurz vor Mitternacht im Bett lag, konnte ich lange nicht einschlafen, weil mich die Gespräche noch lange beschäftigten.
Kaffeegeruch und ein gedeckter Tisch empfingen mich am nächsten Morgen in der Küche. Ein Pilger erzählte von einem Bericht in einem deutschen Magazin. Dort wurde von einem jungen Mann mit existentiellen Problemen berichtet, der sich auf den Jakobsweg gemacht hatte. Während seiner Pilgerschaft seien ihm immer wieder Menschen begegnet, die zur Lösung seiner Probleme beigetragen hätten. Nach dem Frühstück half ich beim Abwasch und begriff, welch wertvolle Arbeit die freiwilligen Helfer leisteten. Sie reinigten die Duschen, die Toiletten, die Schlafkammer, bereiteten das Essen zu und versuchten stets ein offenes Ohr für die kleinen und großen Probleme der Pilger zu haben.
Um acht zog ich los. In Santa Catalina de Somoza, vor einem Restaurant, traf ich auf ein mir bekanntes deutsches Pilgerpaar. Sie waren begeistert von dem Restaurant, das auch als Museum hätte dienen können, und empfahlen mir einen Blick ins Innere zu werfen. Im Gastraum blickte ich in die freudestrahlenden Gesichter von Marion und Carla. Sie hatten in Astorga übernachtet und erzählten mir, dass es Gertrud besser ginge und sie sogar wieder einige Kilometer gewandert sei. Ich freute mich
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