Ein neues Leben auf dem Jakobsweg
riesig. Zu dritt setzten wir unseren Weg fort. Nach einem längeren Anstieg erreichten wir Rabanal del Camino.
Ich erkundigte mich bei einem Einheimischen nach einer Bank, weil ich Geld benötigte. Es gab keine, in Ponferrada sei die nächste, gab er mir zu verstehen. Ich hatte nur noch 20 Euro in meiner Geldbörse. Bis nach Ponferrada würden die nie und nimmer reichen. Spontan bot Carla mir 50 Euro an, die ich ihr bei nächster Gelegenheit zurückgeben könne. Verlegen nahm ich das Geld, bedankte mich für ihr Vertrauen und versprach, baldmöglichst meine Schulden zu begleichen. Sicherheitshalber gab ich ihr meine Adresse, falls wir uns aus den Augen verlieren sollten.
Anderthalb Stunden brauchten wir bis Foncebadón, einem halbverfallenen Ort in den Bergen, der auf mich keinen einladenden Eindruck machte. In der Herberge teilte uns die Herbergsmutter mit, dass die Herberge voll sei, wir aber in der benachbarten Kirche übernachten könnten. Als wir die Kirche, in der einige Matratzen auf dem Boden lagen, betraten, war Martin gerade dabei sein Nachtlager einzurichten. Carla und Marion blieben.
Ich beschloss weiterzugehen. Weil meine Essensvorräte aufgebraucht waren, fragte ich die Herbergsmutter nach einem Stück Brot. Obwohl alles fürs Abendessen eingeplant war, reichte sie mir zwei Scheiben. Beim Abschied gab ich Carla 30 Euro zurück, weil ich der Meinung war, dass es bis Ponferrada reichen würde. Carla versicherte mir, dass ich die 50 Euro behalten könne. Ich dankte ihr nochmals und zog los.
Von nun an ging es steil bergauf. Keine Menschenseele zu sehen. Es war gegen drei und ich schätzte die restliche Gehzeit bis zum nächsten Ort auf mehr als drei Stunden. Nach ein paar Kilometern erreichte ich einen der charakteristischsten Punkte des Jakobsweges: den 1504 Meter hohen Pass mit dem Cruz de ferro (Eisenkreuz), das sich auf einem meterhohen Holzstamm befindet, der von einem gigantischen Steinhaufen umgeben ist. Ehrfurchtsvoll stieg ich hoch. Hier ist also der Berg der Vergebung. Ich musste an meinen Stein denken, den ich am Templerkreuz auf den Acker geworfen hatte. Seit mehr als tausend Jahren haben Pilger, in der Hoffnung, dass ihnen vergeben würde, Steine oder andere Dinge an diesem Ort abgelegt. Unzählige Relikte lagen unter mir. Ich sprach ein Gebet für all diese Pilger.
Müdigkeit breitete sich in meinem Körper aus. Es war windig, schwarze Wolken zogen auf. In Manjarín ging ich in die Herberge, die von Tomás seit Jahren im Sinne der Tempelritter-Tradition geführt wird. Nach einem kurzen Aufenthalt, Kaffee und einigen Keksen machte ich mich wieder auf den Weg. Leichter Regen setzte ein. Ich kramte mein Regencape aus dem Rucksack und stülpte es über. Dreißig Kilometer war ich gewandert und sehnte mich meinem Ziel entgegen.
Um halb sieben schaute ich von einer Anhöhe auf den kleinen malerischen Ort El Acebo. Mittlerweile strahlte die Sonne wieder und beleuchtete vor meinen Füßen ein grünes idyllisches Tal. Ich setzte mich auf einen Stein und ließ bewusst die außergewöhnliche Aussicht und friedliche Abendstimmung in mich einkehren. Auf einer Werbetafel las ich: »Restaurant La Trucha, El Acebo«. Ich notierte mir den Namen. Nach einem steilen Abstieg erreichte ich den Ort und machte mir wegen der späten Stunde keine großen Hoffnungen mehr, ein Bett in der Herberge zu bekommen. Auf einer Holztreppe sitzend, bestätigten mir zwei Pilgerinnen dies, und dass sie berechtigte Zweifel hätten, noch ein Bett in El Acebo zu bekommen. »La Trucha« kam mir in den Sinn. Drei Minuten später zeigte mir ein deutscher Pilger den Weg zu einer Privatunterkunft. Vor dem beschriebenen Privatquartier las ich staunend »La Trucha«. Offensichtlich gab es einen Grund dafür, dass ich mir den Namen aufgeschrieben hatte.
Ich klopfte an eine Glastür. Ein mittelgroßer schlanker Spanier, in den Vierzigern, öffnete. Meine Frage nach einem freien Zimmer bejahte er und gewährte mir Einlass. Eine warme, freundliche Atmosphäre, die nicht nur von dem offenen Feuer, das im Kamin loderte, herrührte, empfing mich. Der stolze Herr stellte mir seine schöne Frau, seinen Bruder und ihre kleine Tochter Sofia, vierjährig, mit einem engelhaften Gesicht, vor. Ich nannte sie spontan »Santa Sofia«, was dem Hausherrn ein Lächeln abrang.
Bevor er mir mein Zimmer zeigte, lud mich der Spanier zu einem Glas Wein und einem kleinen Imbiss ein. Ich fühlte mich wie zu Hause und genoss die familiäre Atmosphäre sowie
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