Ein neues Leben auf dem Jakobsweg
mich wohl und fand es herrlich, dass Menschen aus vielen Nationen friedvoll an einem Tisch gemeinsam speisten. Glücklicherweise gehörten wir zu den ersten, die um sieben Uhr ihr Essen einnehmen durften. Das Restaurant konnte nicht alle zugleich bewirten. Die zweite Gruppe, für halb neun vorgesehen, hatte leider nicht die Möglichkeit, an der Pilgermesse teilzunehmen.
Ich verstand nicht viel von dem, was die vier Priester während der Messe auf Spanisch predigten. Musste ich auch nicht. Mein Herz schien jedes Wort zu begreifen und keinerlei Sprache zu benötigen. Nach der Predigt forderten die Priester alle Pilger auf, sich zum Altar zu begeben. Während der Segnung wurden meine Augen feucht. Es war ein bewegender Augenblick, in dem etwas ganz Besonderes geschah. Einen Menschen zu segnen, ihm Gesundheit, Wohlstand, Liebe und Frieden auf all seinen Wegen zu wünschen, ist etwas Wundervolles.
Nach der Messe betete ich in der Stille und gab mich anschließend Navarras Abendfrische hin. Ein himmlischer Frieden war in mir. Ich wollte alleine sein und freute mich über die wohltuende Strömung, die sich in mir ausbreitete. Und ich wusste es zu schätzen, mich auf dem Jahrhunderte alten mystischen Pilgerweg zu befinden, weil ich eine kleine Ahnung davon bekam, welche kostbaren Schätze dieser Weg in sich barg. In jenem Moment schien er ein kleines Fenster geöffnet zu haben, um mir eine winzige Flamme seiner universellen, spirituellen Seele zu offenbaren. So, als wenn ich einen kleinen Teil eines sanften, göttlichen Lichts erahnen, doch noch nicht das vollständige Ganze sehen dürfe.
Ich war müde und ging langsam zum größten Schlafsaal, in dem ich in meinem Leben übernachtet habe. Pilger, die noch nicht in ihren Betten lagen, waren damit beschäftigt, ihre Sachen zu ordnen, als ich den Raum betrat. Nachdem ich meine Zähne geputzt und mein Knie eingesalbt hatte, kletterte ich auf mein Bett und krabbelte in meinen Schlafsack. Neben mir lag ein schlanker, junger Italiener, der ständig grinste. Unter mir führte eine etwa 60-Jährige mit ihrer Nachbarin eine lebhafte Konversation in französischer Sprache. Beim Blick ins weite Rund stellte ich fest, dass die Menschen respekt- und rücksichtsvoll miteinander umgingen. Frauen und Männer zogen sich ungezwungen um, legten ihre Sachen über den Bettrahmen und stiegen in ihre Schlafsäcke. Meine Ohropax, die ich mir in die Ohren stopfte, fühlten sich wie Kaugummi an, der schon einige Stunden des Kauens über sich ergehen lassen musste. Ich mochte die Dinger nicht, zumal sie meine Atmung beeinträchtigten. Obwohl unzählige Gedanken durch meinen Kopf strömten und meine Innenwelt voller Erstaunen war, schlief ich irgendwann ein.
Mein italienischer Nachbar war der erste Schnarcher, der mein Vorhaben, die ganze Nacht zu schlafen, durchkreuzte. Mit ihm schnarchten in diesem gigantischen Schlafsaal noch viele andere. Bald kam es mir wie ein Konzert vor, dass einen eigenen Charakter entwickelte und durchaus seine Reize hatte.
Am frühen Morgen weckten mich seltsame Geräusche. Während ich meine Augen öffnete, wurde mir bewusst, dass es sich um Plastiktütenrascheln handelte, das von regen Aktivitäten und Geflüster der Pilger begleitet wurde. Schnarchen und Plastiktütenrascheln gehörten zum Pilgerleben wie Rucksack und Wanderschuhe. In jenem Moment wurde mir klar, dass ich keinen Wecker benötigte. Meine Mitpilger erfüllten diese Funktion bestens. Wie am Vorabend herrschte eine angenehme Stimmung unter den Menschen. Ich öffnete den Reißverschluss meines Schlafsackes, stand auf, zog mich an und spazierte guter Dinge mit Handtuch und Zahnbürste in den Waschraum. Weil sich die größte Anzahl der Pilger, unter ihnen meine ersten Weggefährten, bereits auf dem Weg befand, war der Schlafsaal fast leer. So hatte ich ausreichend Platz, nach der Morgentoilette meinen Schlafsack einzurollen und ihn in die Hülle zu quetschen. Wie am Vortag dauerte es unendlich lange, bis das Ding verstaut war. Während ich meinen Rucksack packte und einige Kekse aß, wurde mir bewusst, wie einfach das Pilgerleben war. Die vielen Betten symbolisierten Gleichheit. Ein jeder hatte Anspruch auf ein Bett, eine Dusche, Toilette und ein Dach über seinem Kopf. Wenn jemand auf die »glorreiche« Idee kam, Sonderrechte zu beanspruchen, wurde er schnell eines Besseren belehrt.
Nachdem ich mich bei den Hospitaleros bedankt und verabschiedet hatte, füllte ich draußen an der Quelle meine
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