Ein neues Paradies
Amperemeters auf zwanzig Milliampere. Durch die Erhitzung in Verbindung mit der negativen Hochspannung wurden die Atome der Kathode beweglich. Teile des Atombaus, die Elektronen, die Träger der elektronegativen Ladung lösten sich aus dem Bau und schnellten mit Weltraumgeschwindigkeit von der Kathode fort in das lange Rohr hinein.
Hans Kallmann ließ den Hebel des Heizwiderstandes von Kontakt zu Kontakt gleiten. Schon war aus der Rotglut Gelbglut geworden, schon wurde aus der Gelbglut helle Weißglut. Längst war das Blei geschmolzen und stand weißstrahlend in der Pfanne. Sein Spiegel warf jetzt die Kathodenstrahlen in gewaltigem Strom aus, und das Amperemeter zeigte bei zweihunderttausend Volt Spannung ein volles Ampere. Eine Energie von einem Ampere multipliziert mit zweihunderttausend Volt, das heißt eine Energiemenge von zweihunderttausend Watt oder zweihundert Kilowatt, eine Leistung von zweihundert Pferdestärken wirkte auf die winzige Bleimenge, brach Elektronen aus den Bleiatomen heraus und arbeitete daran, diesen so lange unerschütterlichen Atombau zu erschüttern.
Drei Stunden hindurch ließ Hans Kallmann die Röhre arbeiten. Fast tausend Pferdekraftstunden hatte er in diesen Fingerhut voll Blei gepumpt. Dann stellte er Heizung und Spannung ab und konnte die Zeit kaum erwarten, bis die Röhre sich wieder abkühlte.
Mit einem scharfen Glaserdiamanten führte er einen Schnitt um das Glasrohr. Zischend drang die Luft durch den ersten winzigen Schnittspalt. Dann brach das Rohr auseinander, und mit zitternder Hand griff er nach der Wolframschale mit der Bleifüllung. Schnell war der Weg in die Dunkelkammer zurückgelegt, und kaum hatten sich die Augen an das Dunkel gewöhnt, so war der Erfolg zu beobachten. Der Leuchtschirm leuchtete, leuchtete viel heller und greller, als er jemals zuvor bei den früheren Versuchen geleuchtet hatte.
Hans Kallmann ging zurück und rieb die Bleifläche mit Schmirgelpapier ab. Das Schmirgelpapier brachte den Schirm zum Leuchten, aber die Bleifläche tat nach wie vor das gleiche.
Einen Augenblick mußte sich Hans Kallmann niedersetzen, denn die Knie zitterten ihm. Ganz vorsichtig begann er zu überlegen.
Das Blei war in der luftleeren Röhre gewesen. Irgendwelche radioaktiven Stoffe aus der Umgebung hatte es also nicht anziehen können. Die Radioaktivität müßte von der Behandlung durch den Strom herstammen. Und eine Hautwirkung, die sich nur auf die oberste Oberfläche erstreckte, schien es auch nicht zu sein, denn er hatte ja die Oberfläche abgeschmirgelt.
Minuten vergingen. Dann hatte er sich erholt und ging wieder an die Arbeit. Über einer Spiritusflamme brachte er den Bleiinhalt der Wolframpfanne zum Schmelzen und goß das geschmolzene Blei in eine Schüssel kalten Wassers. In viele einzelne Tropfen zerspritzte das Metall, und sorgfältig sammelte er jeden Tropfen, trocknete ihn ab und brachte ihn in die Dunkelkammer, mit dem Erfolg, daß jedes Tröpfchen Blei den Schirm zu hellem Leuchten brachte. Der Beweis war schlüssig gelungen. Aber noch gab Hans Kallmann sich nicht zufrieden. Noch einmal brachte er seine Bleimenge zum Schmelzen, goß ein flaches Täfelchen und brachte es unter eine kräftige, elektromotorisch betriebene Walze, bis er schließlich eine Bleifolie von der Größe eines doppelten Aktenbogens in den Händen hielt. Wiederum kehrte er in die Dunkelkammer zurück und breitete die Bleifolie über die Rückseite des Schirmes aus. Jetzt strahlte die gesamte Vorderseite des Bariumpiatinzyanürschirmes in hellem, grünblauem Licht. Und so stark war das Licht, daß man den Tisch mit allerlei Geräten darauf in der Dunkelkammer deutlich erkennen konnte. Es war keine Spur eines Zweifels mehr möglich. Dieses Stückchen Blei war durch und durch stark radioaktiv geworden. Der erste Teil des langen und dornenvollen Weges, auf dem Hans Kallmann zu seinem Ziel zu kommen hoffte, war erfolgreich beschritten worden.
Lange hatte es Hans Kallmann sich überlegt, wie er weiter arbeiten wollte. Er konnte streng wissenschaftlich vorgehen, indem er versuchte, durch Kristallisationen die radioaktiv gewordenen Bleiatome von den etwa unverändert gebliebenen zu trennen.
Lange Zeit würde darüber vergehen, und schließlich würde er doch nur dasselbe wissen, was er jetzt schon wußte, nämlich daß es ihm durch die gleichzeitige Einwirkung von Hitze und elektrischer Spannung gelungen war, Bleiatome zum Einsturz zu bringen. Gewiß, er würde vielleicht die Ehre haben,
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