Ein neues Paradies
benötige Ihre zahlenmäßigen Angaben, und was sich praktisch daraus erzielen läßt, das wollen wir später sehen.«
Der Ingenieur verabschiedete sich schnell und verließ die Wohnung seines Freundes.
Ein Jahr war seit den beiden hier geschilderten Unterredungen vergangen, und vom Ingenieur Hans Kallmann hatten seine Freunde wenig zu sehen bekommen. Der saß in seinem Laboratorium und machte einen Versuch nach dem anderen.
Nach einem langen Schlaf trat er an einem Märzmorgen wieder in sein Laboratorium. Dort stand auf dem Tisch ein gewaltiger Hochspannungsisolator und trug auf der Spitze eine Bleikugel von etwa einem Zoll Durchmesser. Ein winziger Draht, der ebenfalls an riesenhaften Isolatoren entlanggeführt war, reichte bis zu der Kugel und lag leicht auf ihr auf. Durch einen Griff betätigte Hans Kallmann einen Fernschalter und schaltete die negative Gleichstromspannung von hunderttausend Volt ab, die die Nacht über an der Bleikugel gelegen hatte. Dann entfernte er den Draht und nahm die Kugel mit einer gläsernen Zange vom Isolator hinweg. Er schritt in die Dunkelkammer und strich mit der Kugel dicht über einen Leuchtschirm hin, das heißt über einen Pappkarton, der mit Bariumplatinzyanür bestrichen war. Ein unruhiges, grünliches Leuchten zeigte sich. Unzweifelhaft war der Beweis erbracht, daß die Bleikugel radioaktiv geworden war, daß sie strahlte, daß sie Ätherbewegungen oder elektrische Ladungen ausstieß, die den Schirm zum Leuchten brachten.
Hans Kallmann nahm die Kugel wieder in das Laboratorium zurück und rieb sie mit einem feinen Schmirgelpapier sauber ab. Wiederholt nahm er neues Schmirgelpapier, legte die gebrauchten Stücke sorgfältig beiseite und ging dann mit der Kugel wieder in die Dunkelkammer. Er wiederholte den vorigen Versuch, und der Schirm blieb völlig dunkel. Auch nicht die Spur eines Leuchtens war bemerkbar. Kopfschüttelnd schritt er in das Laboratorium zurück, holte das Schmirgelpapier und brachte dieses an den Leuchtschirm. Jetzt war das Leuchten wieder da.
»Das ist es eben. Immer nur diese dünne Hautwirkung. Nur die äußerste Schicht wird radioaktiv. Man weiß nicht, ob man nun wirklich die Bleiatome durch die hohe elektronegative Ladung zum Einstürzen, zum Strahlen gebracht hat, oder ob die Lehre richtig ist, daß irgendein so hoch geladenes Metall nur alle irgendwie in der Umgebung vorhandenen radioaktiven Stoffe zu sich heranzieht und sich mit einem feinen Häutchen strahlender Materie bedeckt … So kommen wir nicht zum Ziel. Versuchen wir es auf andere Weise.«
Hans Kallmann machte sich an einer anderen Versuchsanordnung zu schaffen. Es war eine große Glasröhre von der Art der Röntgenröhren. Nur viel geräumiger und ausgedehnter. Da stand die Kathode, der negative Pol, breit und mächtig in der Röhre. Dann aber dehnte sich das Glasrohr wohl sechs Meter weit geradeaus. Die Strahlen, die etwa von der Kathode absprangen, konnten sich in diesem reichlich schenkelstarken Rohr frei fortbewegen. Erst in sechs Meter Entfernung stand die Antikathode, die die Strahlen auffangen und zurückwerfen konnte.
Diese ganze mächtige Röhrenanlage war vollständig luftleer gepumpt. Sie bedeutete, vom Lichtäther abgesehen, den unbedingt leeren Raum. Ihr Inneres war so leer wie der Weltraum und setzte der Elektrizität einen unüberwindlichen Widerstand entgegen.
Wiederum holte Hans Kallmann die Leitungsdrähte seiner Hochspannungsbatterie heran. Er legte den negativen Pol an die Kathode und den positiven an die Anode der Röhre. Dann betätigte er den Fernschalter und legte die ganze riesige Spannung seiner Akkumulatorenbatterie an die Röhre. Es waren hunderttausend Elemente, jedes einzelne mit einer Spannung von zwei Volt. Zweihunderttausend Volt lagen an der Röhre, und die Röhre blieb dunkel. Das Amperemeter, das in den Hochspannungskreis eingeschaltet war, regte sich nicht, ein Zeichen, daß die Röhre unbedingten Widerstand leistete.
Aber noch etwas Besonderes war in diesem Rohr eingebaut. Die Kathode war kein einfacher Metallkörper. Sie war in Form einer Pfanne aus reinem Wolfram gebildet und enthielt eine kleine Menge Blei. Um die Pfanne herum aber lag ein elektrischer Heizwiderstand, der durch einen besonderen Stromkreis bis zur Weißglut erwärmt werden konnte.
Mit zögernder Hand griff Hans Kallmann nach dem Hebel des Regulierwiderstandes und gab Heizstrom auf die Kathode. Rötlich erglühte der Draht, und augenblicklich sprang der Zeiger des
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