Ein perfekter Freund
über dem editorial hat er ihn noch.«
»Für den Fall, daß er ihn wieder wachsen lassen muß.«
»Das hat er gesagt?«
»Das vermuten wir. Er ist noch bis Ende der Woche Strohwitwer. Danach wird man sehen.«
»Wie sieht es aus?«
»Wie eine perfekt operierte Hasenscharte.«
Im Schatten einer Kastanie warteten sie auf den Bus. In der heißen Luft standen die Abgase der Autos, die sich an der Ampel der nahen Kreuzung stauten.
»Was habe ich geschrieben seit der Lokführersache?« fragte Fabio.
»Nic hts.«
»In drei Wochen nichts?«
»Du hast recherchiert.«
»Woran?«
Lucas hob die Schultern.
»Du weißt es nicht?«
»Du hast ein Geheimnis daraus gemacht.«
»Ach, komm, das glaub ich dir nicht.«
Ein Handy piepste Ravels Bolero. Fabio lächelte spöttisch.
»Nein, ne in«, sagte Lucas, »das muß deines sein.«
»Bolero? Sehe ich so aus?«
Aber es war seines. Eine Frauenstimme meldete sich. »Ich bin's, Marlen. Wo bist du?«
»Ich habe mit Lucas gegessen, jetzt sind wir auf dem Weg in die Redaktion.«
»In die Redaktion?« Es klang erstaunt.
Der Bus hielt, die Mitteltür öffnete sich zischend, eine alte Frau kletterte heraus. Lucas half ihr mit ihrem Einkaufswägelchen.
»Der Bus ist da, wir sehen uns später, ciao.«
»Amselweg vierundsiebzig«, sagte Marlen. »Du hast ein Kärtchen in deinem Portemonnaie.«
Im Bus durchsuchte Fabio sein Portemonnaie. Tatsächlich fand er ein schneeweißes Visitenkärtchen, in das der Schriftzug LEMIEUX geprägt war. Darunter las er: Marlen Berger, Presseassistentin, und die Firmenadresse mit Telefon, Fax und E-Mail. Auf der Rückseite des Kärtchens, in der gleichen gepflegten Typographie, stand ihre Privatadresse. Amselweg 74.
Fabio hielt Lucas das Kärtchen unter die Nase. »Ich kann froh sein, daß sie mir nicht ein Schild mit Namen und Adresse um den Hals hängt.«
Lucas sagte nichts.
»Amselweg«, las Fabio. »Amsel weg. Weg ist die Amsel. Wo ist die Amsel? Weg!«
»Und wie merkst du dir vierundsiebzig?«
»Ich erkenne das Haus.«
Der Bus hielt. Niemand stieg aus, niemand stieg ein.
»Bei der nächsten mußt du raus«, sagte Lucas.
»Weshalb?«
»Umsteigen auf die Neun. Amsel? Weg!«
»Ich komme mit in die Redaktion.«
»Weshalb?«
»Sagen, daß ich wieder da bin.«
Lucas wollte etwas erwidern, entschied sich aber anders.
Der Fahrer griff mit weitausholenden Bewegungen in sein riesiges Steuerrad. Aus seinen kurzen Hosen ragten dünne weiße Beine mit rötlichen Knien. »Busfahrer in Shorts«, sagte Fabio , »das ist wie Zugführer, die Kaffee servieren. Es untergräbt die Autorität.«
»Ein Busfahrer braucht doch keine Autorität zu sein.«
»Im Busfahr en schon.«
»Glaubst du, der fährt schlechter in Shorts?«
»Davon bin ich überzeugt«, behauptete Fabio. »Der verliert auch den Respekt vor sich selbst. Am besten wäre, er trüge eine Uniform mit vier goldenen Streifen am Ärmel, wie ein Flugkapitän. Es wäre ein Beitrag zur Verkehrssicherheit. Darüber sollte man einmal etwas schreiben. Die Wirkung der Berufskleidung auf ihren Träger. Wen, glaubst du, wollen die Ärzte mit ihren Kitteln beeindrucken? Die Patienten? Falsch. Sich selbst.«
Der Bus bremste etwas zu abrupt an einer Ampel. »Siehst du, das meine ich.«
Die Redaktion bestand aus einem großen Raum, der durch Tische, Büropflanzen und ein paar schallschluckende Wandschirme unterteilt war. Türen führten zu Besprechungsräumen, dem Konferenzraum, den Büros der Ressortleiter und dem des Chefredakteurs.
Als Fabio mit Lucas den Raum durchquerte, schauten ein paar Köpfe von Bildschirmen auf, verstummten zwei, drei Gespräche.
»Willst du gleich zu Rufer?« fragte Lucas.
Aber Fabio war stehengeblieben. »Wer ist das?«
»Wer?«
»Der an meinem Platz.« Er zeigte auf einen jungen Mann, der zusammengesunken vor dem Bildschirm saß und schrieb.
»Berlauer«, antwortete Lucas. »Rufer scheint frei zu sein, die Tür ist offen.«
»Was macht der an meinem Platz?«
»Sprich mit Rufer.« Lucas ließ Fabio stehen.
Ohne Schnurrbart sah Rufers Oberlippe aus, wie die von Fabio sich anfühlte. Und sein erstauntes »Fabio?« wirkte, wie wenn jemand, der lispelt, »Sabio« sagt.
»Wie geht es? Schön, dich wieder auf den Beinen zu sehen!« Rufer stand auf und schüttelte Fabio überschwenglich die Hand.
»Was macht der Typ an meinem Platz?«
»Berlauer? Ich glaube, er ist an einer Geschichte über japanische Reisegruppen. Scheinen ziemlich straff organisiert
Weitere Kostenlose Bücher