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Ein perfekter Freund

Ein perfekter Freund

Titel: Ein perfekter Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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Wirt nach ihren Wünschen fragte. Er hatte sich vom Kartentisch losgerissen und war an den Tisch geschlurft. Sie bestellten zwei Eistee. Der Wirt entfernte sich. Er murmelte etwas vor sich hin, das wie »Scheißtee« klang. Seit sie nicht mehr bei ihm aßen, war er nicht gut zu sprechen auf die Leute vom SONNTAG- MORGEN. Schon gar nicht, wenn sie während der Zimmerstunde der Serviertochter kamen.
    Lucas saß schuldbewußt auf seinem Stuhl und wartete auf die Fortsetzung des Anpfiffs. Der Anblick stimmte Fabio milder.
    »Du kannst dir nicht vorstellen, wie das ist, wenn dir plötzlich fünfzig Tage aus deiner Biographie fehlen. Du fühlst dich…« , Fabio suchte nach dem richtigen Ausdruck, »…verloren. Unsicher. Das ist wie nach einem gewaltigen Suff wieder unter die Leute gehen. Alle wissen mehr über dich als du selbst. Da brauchst du jemanden, den du fragen kannst: Was war? Was habe ich gesagt? Was habe ich getan? War es schlimm? War es erträglich? Du brauchst jemanden, der dir hilft, das zu rekonstruieren, woran du dich nicht mehr erinnern kannst. Und auf diese Person mußt du dich bedingungslos verlassen können. Für mich bist du diese Person, Lucas.«
    Der Wirt stellte zwei Gläser auf den Tisch. »Darf ich gleich kassieren?«
    »Das Eis fehlt«, stellte Lucas fest.
    »Sie haben nichts von Eis gesagt.«
    »Wir dachten, es gehört dazu. Wegen des Namens, verstehen Sie? Eis-tee.«
    »Der heißt einfach so.«
    »Aber es ist kein Eis drin?«
    »Wenn Sie es vorher sagen, schon.«
    »Prima«, sagte Fabio.
    Der Wirt stand da und wartete.
    »Kommst du, Albi!« tönte es vom Kartentisch.
    »Sie wollen also, daß ich Eis bringe«, insistierte der Wirt.
    »Richtig. Wenn das jetzt noch möglich ist.«
    Der Wirt wollte gehen. »Ach«, rief Fabio ihm nach, »und einen Milchkaffee!«
    Der Wirt zog maulend ab.
    Fabio nahm den Faden wieder auf. »Nur: Bei mir handelt es sich nicht um einen Abend. Bei mir sind es fünfzig Tage. Fünfzig Tage, in denen ich mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt habe.«
    Lucas schwieg.
    »Ich muß doch wissen, was passiert ist. Ich muß das doch nachvollziehen können.«
    Lucas vergaß, daß sie auf Eis warteten, und nahm einen Schluck Tee. »Mußt du das wirklich?«
    Fabio schaute ihn verständnislos an.
    »Du hattest dich nicht unbedingt zu deinem Vorteil verändert. Kannst du es nicht einfach dort lassen, wo es ist?«
    Fabio lachte auf. »Die Tage sind aus meinem Gedächtnis gelöscht, nicht aus meinem Leben! Ich habe meine Freund in verloren, meinen Job und eine Menge Sympathien. Ich kann doch jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.«
    Lucas drehte an seinem Glas. »Wie willst du vorgehen?«
    »Wir setzen uns mit unseren Agendas zusammen und gehen jeden Tag durch.«
    »Das wird sehr lückenhaft.«
    »Die Lücken schließen wir aus anderen Quellen.«
    »Umgekehrt wäre es besser. Wir haben nämlich nicht viel voneinander gesehen in jenen Wochen. Du warst meistens mit anderen Leuten zusammen.«
    »Mit wem?«
    Lucas zuckte die Schultern. »Du hast in anderen Kreisen verkehrt.«
    »Welchen?«
    »Ich kenne diese Leute nicht. Frag Marlen.«
    Der Wirt kam mit einem Glas voller Eiswürfel und einer Tasse Milchkaffee und stellte beides auf den Tisch.
    »Da ist ja Milch drin«, wunderte sich Fabio.
    »Sie haben Milchkaffee bestellt.«
    »Ich wußte nicht, daß das mit Milch ist.«
    Der Wirt wurde laut. »Drum heißt es ja Milchkaffee!«
    Fabio deutete auf die beiden Gläser. »Das heißt ja auch Eistee.«
    Der Wirt sah aus, als zählte er innerlich bis drei. »Dreizehn vierzig macht's dann, Klugscheißer.«
    Fabio klaubte das Portemonnaie aus der Hosentasche. Es befanden sich nur ein paar Münzen darin. »Typisch«, brummte der Wirt. Lucas übernahm die Rechnung.
    Vor dem Lokal trennten sie sich. »Die Acht fährt fast bis zum ›Amselweg!‹«, sagte Lucas zum Abschied.
    »Danke. Und falls dir noch etwas einfällt, das ich wissen müßte, gib mir Bescheid.«
    Auf dem Weg zur Tramhaltestelle kam Fabio an einem Geldautomaten vorbei. Er steckte seine Karte in den Schlitz und tippte seinen Code ein.
    »Falscher Code«, informierte ihn die Maschine. Er mußte sich vertippt haben. Er kannte seinen Code im Schlaf und hatte ihn noch nie geändert. Sorgfältig tippte er 110682 ein. Das Datum, an dem Italien das Endspiel gegen Deutschland gewonnen hatte.
    »Falscher Code«, behauptete die Maschine wieder. Beim dritten Fehlversuch würde die Karte eingezogen. Er verzichtete.
    Der Tramführer

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