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Ein perfekter Freund

Ein perfekter Freund

Titel: Ein perfekter Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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beugte sich über ihn und sagte: »Endstation.« Fabio mußte aussteigen, seine Mehrfahrtenkarte am Automat neu abstempeln und bis »Rebenstraße« sechs Stationen zurückfahren. Beinahe wäre er wieder eingeschlafen. Er fand die Stelle, wo der Amselweg einmündete, ohne Probleme. Aber die Strecke bis zur Nummer 74 kam ihm endlos vor. Er hatte sich wohl zuviel zugemutet für den ersten Tag nach dem Krankenhaus.
    Inzwischen kannte Fabio den Duft, von dem er diesmal erwachte: Chanel 5. Er lag auf dem kleinen Ledersofa neben seinem Schreibtisch in der fremden Wohnung. Die Frau, die zum Duft gehörte, beugte sich über ihn. Er überlegte. Eine Laterne. Darunter steht sie. Wie einst.
    »Hallo Lili.«
    »Marlen«, korrigierte sie nachsichtig. Er fühlte die Hälfte ihres Kusses.
    »Wie war's?«
    »Anstrengend.«
    »Wie ist Doktor Vogel?«
    »Dick.«
    »Und sonst?«
    »Okay, soweit ich es beurteilen kann. Ich habe noch wenig Erfahrung mit Neuropsychologen. Wie spät ist es?«
    »Kurz nach sieben. Hast du Hunger? Es gibt deine Leibspeise.«
    »Was ist meine Leibspeise?«
    Die Frage brachte sie kurz aus der Fassung. Dann stand sie auf. »Überraschung.«
    Seine Leibspeise stellte sich als Lachs mit Zwiebelringen, Kapern, Meerrettichsauce und Butter auf Toast heraus. »Das Schwein des Meeres« hatte Norina Lachs genannt. In schmutzigen Fischgehegen gezüchtet, mit Überdosen Chemie am Leben gehalten, mit Hormonen aufgepumpt, mit synthetischen Karolinen rosarot gefüttert. Nie hätte sie Lachs auch nur angerührt. Und nie wäre Fabio auf die Idee gekommen, Lachs als seine Leibspeise zu bezeichnen.
    Sie aßen auf dem Balkon. Marlen hatte sich umgezogen. Sie trug ein schulterfreies Kleid, das auf rätselhafte Weise knapp über den Brustwarzen festgehalten wurde. Das kurze blonde Haar war mit Gel straff nach hinten gekämmt. Auf dem weiß gedeckten Gartentisch stand ein Halter mit einer roten Kerze. Joni Mitchel sang »You've changed«. Nicht gerade seine Musik.
    Fabio wurde den Eindruck nicht los, Marlen sei dabei, ein Bild zu inszenieren, das seiner Erinnerung nachhelfen sollte. Ihren ersten Abend? Den Abend vor dem Ereignis?
    »Laß mich nie mehr hineinrasseln«, sagte er. Es klang unfreundlicher als beabsichtigt.
    Marlen schaute erschrocken vo n ihrem Teller auf.
    »Du mußt doch gewußt haben, daß ich gekündigt habe. Weshalb hast du mir nichts davon gesagt?«
    »Ich dachte, das hätte noch Zeit. Ich konnte doch nicht ahnen, daß du gleich am ersten Tag in die Redaktion rennst.«
    »Und ich dachte, du kenns t mich.«
    »Eben. Wie ich dich kenne, hättest du einen weiten Bogen um die Redaktion gemacht.«
    Wenn Fabio sich früher mit Norina über etwas gestritten hatte, dann war es die Rolle, die die Redaktion in seinem Leben spielte. »Wenn du nicht für die Redaktion unterwegs bist oder für die Redaktion zu Hause am Powerbook, dann bist du in der Redaktion«, hatte sie ihm manchmal vorgeworfen. »Wenn nicht physisch, dann in Gedanken.«
    »Erzähl mir mehr über mich«, bat Fabio.
    Auf der Birke gegenüber begann eine Amsel zu singen.
    »Was willst du wissen?«
    »Wie haben wir uns kennengelernt?«
    Marlen lächelte. »Bei einem Pressefrühstück für die Einführung von BIFIB.«
    »BIFIB?«
    »Ein ballaststoffangereicherter Bifidus-Drink.«
    Fabio schüttelte den Kopf. »So etwas hätte mich nie interessiert.«
    »Und ob dich das interessierte. Du hast mich anschließend mit Fragen bestürmt. Und für denselben Abend zum Essen eingeladen.«
    »Und?«
    »Ich sagte zu. Pressearbeit. Wir gingen ins République.«
    »In diesen Spießerladen? Da würde ich nie hin.«
    »Du wolltest wohl nicht gesehen werden.«
    »Und?«
    Marlen lächelte. »Und dann hierher.«
    »Und Norina?«
    »Eine Norina hast du nicht erwähnt.«
    »Ich gab mich als Single aus?«
    Marlen hob die schmalen Schultern. »Die Frage haben wir nicht erörtert.«
    Es war fast dunkel geworden. Sie nahm ein Feuerzeug vom Tisch und zündete die Kerze an. In diesem Licht - es legte einen matten Glanz auf ihren Ausschnitt und die Schultern - erschien ihm sein Verhalten nicht mehr ganz so unnachvollziehbar.
    Die Amsel hörte auf zu singen. Marlen stand auf und räumte den Tisch ab. Als sie zurückkam, hatte sie ein Päckchen Zigaretten in der Hand. Sie setzte sich und hielt es ihm entgegen. Fabio schüttelte den Kopf.
    Sie steckte sich eine in den Mund und gab sich Feuer. Sekundenlang warf die Flamme unruhige Schatten auf ihr Gesicht.
    »Ich habe also geraucht«, stellte

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