Ein perfekter Freund
zu…«
»Weshalb an meinem Platz, meinte ich.«
Rufer suchte nach einer Antwort. Fabio wußte jetzt, woran ihn die leere Oberlippe seines Chefs erinnerte: an die eines Karpfens. Besonders jetzt, wo er nach Worten schnappte.
»Ich bin also abgeschrieben.«
Rufer erhob sich, schloß ein Schränkchen auf, entnahm ihm einen Ordner, blätterte, fand ein Papier und reichte es Fabio.
Es war ein kurzer Brief, adressiert an Stefan Rufer, Chefredakteur SONNTAG-MORGEN, im Hause. Er trug das Datum des sechzehnten Juni.
Lieber Stefan Ich beziehe mich auf unsere mündliche Unterredung und bestätige meine Kündigung per Ende August dieses Jahres aus den besprochenen Gründen. Mir stehen noch achtzehn Ferientage zu, das heißt, mein letzter Arbeitstag ist der achte August. Falls meine Nachfolge vor diesem Datum geregelt ist, bin ich auch mit einem früheren Termin einverstanden.
Ich danke für das offene Gespräch und Dein Verständnis. Fabio Rossi Um Zeit zu gewinnen, las Fabio den Brief ein zweites Mal.
»Ich habe von deinen Gedächtnisproblemen gehört«, half Rufer.
Fabios Antwort klang gereizt: »Ich habe keine Gedächtnisprobleme, ich habe ein Blackout von fünfzig Tagen.«
»Ich weiß, entschuldige.«
So sachlich wie möglich fragte Fabio: »Was waren die Gründe?«
»Persönliche.«
»Mir kannst du sie sagen.«
Rufer grinste. »Das waren deine Worte. Aus persönlichen Gründen wolltest du dich verändern. Mehr hast du mir nicht verraten.«
»Hattest du versucht, mich umzustimmen?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Ich habe schon viele Lohngespräche geführt. Das war keines.«
Das Telefon klingelte. Rufer machte eine entschuldigende Geste, wies auf einen Besuchersessel und begann ein längeres Gespräch. Als er bemerkte, daß ihm Fabio dabei auf die Oberlippe schaute, wandte er sich ab.
Fabio setzte sich. Persönliche Gründe? Hatten sie mit Norina zu tun? Oder waren es die gleichen, aus denen er sie verlassen hatte? Was zum Teufel war in ihn gefahren?
Rufer legte auf.
»Keine Andeutung über die Gründe? Nichts?«
»Nichts.«
»Auch keine Vermutung?«
Rufer räusperte sich. »Ich wußte ja von deiner privaten Situation. Wir alle wußten davon. Ich na hm an, daß es damit zusammenhing.«
»Was wußtest du über meine private Situation?« Rufer zögerte.
»Im Ernst. Ich weiß nichts darüber.«
»Nun, du hattest diese Geschichte mit Marlen und die Trennung von Norina. Leute tun radikale Dinge in solchen Situationen.«
Fabio schüttelte ungläubig den Kopf. »Weißt du, ich habe nicht nur vergessen, was ich in dieser Zeit getan habe, ich habe auch nicht die geringste Erinnerung an die Gefühle, die es mich tun ließen. Alles spurlos ausgelöscht.«
»Und? Was sagen die Ärzte? Kommt es wieder zurück?« Fabio zuckte die Schultern. »Manchmal ja, manchmal nein , manchmal alles, manchmal ein Teil.«
»Kannst du es beeinflussen?«
»Mein Hirn anstrengen. Arbeiten.« Fabio schaute Rufer erwartungsvoll an. Dieser wurde verlegen.
»Berlauer war frei. Du hattest ja gesagt, falls ich früher jemanden finde… Und nach dem Unfall hatte ich sowieso mit einer längeren Rekonvaleszenz gerechnet.«
»Verstehe.« Fabio stand auf.
Rufer erhob sich auch und gab ihm die Hand. »Wenn du mal Lust hast, eine Geschichte für uns zu machen, und es liegt umfang und budgetmäßig drin…«
»Ich werde an euch denken«, murmelte Fabio.
Fabio ging direkt zu Lucas' Platz. Der tat, als wäre er völlig von seiner Arbeit absorbiert. »Hast du kurz Zeit?« sagte Fabio. Es klang nicht nach einer Frage.
»Eigentlich nicht«, antwortete Lucas, ohne den Bildschirm aus den Augen zu lassen.
»Zehn Minuten«, befahl Fabio. »In der Linde.«
Die Linde war das nächste Lokal. Das war das einzige, was für sie sprach. Das Bier war warm, das Essen schlecht, und der Mief aus Frittieröl, heißem Käse und den billigen Zigarren der Rentner, die am Stammtisch Karten spielten, setzte sich sofort in den Kleidern fest. Selbst jetzt, bei fast dreißig Grad, blieben die Fenster aus Angst vor Durchzug geschlossen. Zugeklebt mit den Farbanstrichen der letzten Jahrzehnte.
Fabio und Lucas setzten sich an einen mit grobgewobenen, senfgelb und braun karierten Tischtüchern bedeckten Tisch.
»Warum hast du mich nicht gewarnt?« Fabio war sauer.
»Ich - ich wollte nicht, daß du dich aufregst.«
»Das hast du prima hingekriegt.«
»Tut mir leid.«
Fabio brauste auf. »Immer tut allen alles leid.«
Lucas war froh, daß in diesem Moment der
Weitere Kostenlose Bücher