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Ein perfekter Freund

Ein perfekter Freund

Titel: Ein perfekter Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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Delinquenten einschüchtern sollte.
    Bestimmt war Wachtmeister Tanner zur Schreibtischarbeit verurteilt. Fabio konnte sich nicht vorstellen, daß man ernstzunehmende Kriminelle von einem zwinkernden Riesen beschatten lassen konnte.
    »Wie geht es Ihnen, Herr Rossi?« fragte er. Es klang, als interessierte es ihn wirklich. Jedenfalls gab Fabio erschöpfender Auskunft als sonst.
    »Vom rechten Jochbogen bis zu den Zähnen des rechten Oberkiefers habe ich kein Gefühl, meine Erinnerung endet am achten Mai und beginnt erst am fünften Tag meines Krankenhausaufenthaltes wieder. Aber ich nehme an, Sie haben beruflich oft mit Leuten mit Gedächtnislücken zu tun.«
    Jetzt lachte Tanner. »Ja, ja, das kommt vor. Ich bin froh, daß Sie es mit Humor nehmen.« Er blätterte in seinen Unterlagen und wurde dienstlich. »Am einundzwanzigsten Juni um sechzehn Uhr zwölf wurden Sie bei der Endstation Wiesenhalde von einer Streife aufgegriffen. Sie waren am Kopf verletzt und verwirrt. Ein älteres Ehepaar hatte sich um Sie gekümmert und die Streife gerufen. Ich frage Sie jetzt einfach fürs Protokoll: Erinnern Sie sich an den Vorfall?«
    »Nein«, antwortete Fabio.
    Der Wachtmeister holte die Tastatur vom Bildschirm seines Computers, wo sie aus Platzgründen stand, wenn er sie nicht benutzte. Er tippte mit zwei seiner großen Finger auf die kleinen Tasten. Wahrscheinlich: Kann sich an den Vorfall nicht erinnern.
    Die Protokollaufnahme dauerte etwa eine Stunde und brachte für Fabio mehr zutage als für Wachtmeister Tanner. Er erfuhr den Namen des Ehepaars, das die Polizei rief, und die der beiden Polizisten. Er wußte jetzt, daß die Polizei von einem Raubüberfall ausging, bei dem der oder die Täter gestört wurden, denn Fabio hatte Geld, Wertsachen, Ausweis und Handy noch bei sich. Und er vernahm, daß die Polizei immer noch nach Zeugen suchte.
    Wachtmeister Tanner hingegen erfuhr nicht einmal, was Fabio Rossi bei der Endstation Wiesenhalde zu suchen hatte. »In dieser Gegend«, gab er zu Protokoll, »war ich einmal auf einem Waldlehrpfad. In der vierten Klasse.«
    Fabio unterschrieb seine Aussage und versprach, sich zu melden, falls ihm etwas einfiel. Wachtmeister Tanner versprach, sich zu melden, wenn er etwas Neues wußte. Die zwei Versprechen, die sich Polizisten und Opfer seit Jahrhunderten gaben.
    In eine r Papierwarenhandlung kaufte Fabio ein kleines Ringbuch mit einem Nummernregister. Jede Zahl stand für einen vergessenen Tag. Hinter jede ordnete er ein leeres Blatt. Nach der letzten Seite folgte ein Stapel Reserveblätter für die Tage, über die er mehr herausfinden würde, als auf einem Blatt Platz fand. Er hatte die Verkäuferin sogar dazu gebracht, im Lager nachzuschauen, ob dort noch eine Taschenagenda des laufenden Jahres lag.
    In einem Straßencafe übertrug er die Termine aus seinem Stenoblock in die Agenda. Dabei merkte er, daß er seit einer halben Stunde bei Dr. Vogel sein sollte. Er rief ihn vom Tisch aus an. Als die Praxishilfe ihn verbunden hatte, eröffnete Vogel das Gespräch mit dem Satz: »Sagen Sie bloß, Sie haben Ihr Gedächtnistraining vergessen.«
    Fabio war sich nicht sicher, ob er sich an Dr. Vogels Humor gewöhnen wollte.
    Anstatt ins Gedächtnistraining ging er auf den Markt. Er hatte Marlen versprochen, etwas zu kochen. Die Hälfte der Stände war bereits abgeräumt, aber er fand dennoch, was er suchte: ein Kilo reifer sizilianischer Tomaten und einen Strauß Basilikum. Die Marktfrau war gerade dabei, ihm das Wechselgeld über die Auslage zu reichen, als sein Handy fiepte. Fabio steckte das Geld ein, stellte seine Einkaufstüte ab und meldete sich: »Ja?«
    Einen Augenblick war es still am anderen Ende. Dann sagte eine Stimme: »Ich bin's, Lucas. Ich glaube, wir sollten reden.«
    »Das glaube ich nicht«, antwortete Fabio und beendete das Gespräch.
    Er brachte Wasser zum Kochen, warf die Tomaten hinein, fischte sie wieder heraus, zog ihre Haut ab, schnitt sie in grobe Würfel und kippte sie in eine Glasschüssel. Er würzte sie mit Salz und Pfeffer, wusch und zerkleinerte die Basilikumblätter, streute sie darüber, goß etwas Olivenöl dazu, mischte das Ganze und stellte die Schüssel in den Kühlschrank.
    Spaghetti mit kalter Tomatensauce war eine von Norinas Leibspeisen gewesen. Ein Sommermenü, das sie oft an warmen Abenden auf der Dachterrasse gegessen hatten.
    Das Bild ging ihm nicht aus dem Kopf: wie sie aus der Tür gekommen war. Zögernd und doch zielstrebig. Die kurzen Haare. Der

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