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Ein perfekter Freund

Ein perfekter Freund

Titel: Ein perfekter Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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Sie war früher zum Wäscheaufhängen benützt worden. Jetzt rankten sich Zierreben um die Stangen, und in lauen Sommernächten brannten bunte Glühbirnen an den Wäschedrähten. Die Terrasse war allen Mietern zugänglich, aber von Norinas Wohnung führte aus unerfindlichen Gründen eine eigene Holztreppe hinauf. So waren Norina und Fabio fast die einzigen Benutzer. Und Hans Bauer vom dritten Stock, der dort oben aber nur seine Hanfpflanzen zog.
    Als Fabio Norina kennenlernte, wohnte er in einem möblierten Studio. Diese Lebensweise entsprach dem Bild, das er damals von sich hatte: mobiler, unabhängiger Single Ende Zwanzig. Er hatte damals als Reporter für eine große Tageszeitung seine Sporen verdient, und es sah so aus, als würde er für diese als Italienkorrespondent für ein paar Jahre nach Rom gehen. Dann kamen das Angebot vom SONNTAG- MORGEN und Norina dazwischen. In dieser Reihenfolge, wenn er ehrlich war.
    Fast ein halbes Jahr hatte er das Studio nur noch zum Zähneputzen benutzt, bis Norina sagte, falls er sich mit einem Teil der Studiomiete an ihrer Wohnung beteiligen wolle, dürfe auch seine Zahnbürste zu ihr umziehen.
    Fabio machte der Kundin Platz, die jetzt mit zwei Tragetaschen den Laden verließ. Als er wieder zum Eingang der Batteriestraße 38 hinüberschaute, war die Tür offen. Norina stand davor.
    Sie sah anders aus. Sie hatte ihr schwarzes Haar kurz geschnitten und trug einen Rock und ein Top mit Spaghettiträgern.
    Er hatte schon die Ladentür erreicht, als ihn Grazia zurückpfiff. »Fabio, warte!«
    Er schaute sie an und dann zurück zu Norina. Jetzt war noch jemand aus dem Haus getreten. Ein Mann. Er zog die Tür zu und drehte sich um.
    Lucas.
    Norina war schon ein paar Schritte gegangen. Lucas holte sie ein und legte den Arm um sie.

6
    Lucas. Den er aus dem Mief des Oberländer Boten befreit hatte. Den er Rufer aufgeschwatzt hatte. Den er ihm verkauft hatte als journalistisches Urvieh. Als nicht abzuschüttelnden Rechercheur. Als Mann mit dem unfehlbaren Riecher für den Primeur.
    Lucas. Den er aus dem Staub des Provinzjournalismus erschaffen hatte. Lucas, der Hausfreund. Das dritte Gedeck am Tisch. Der nie zu spüren bekam, daß er störte.
    Lucas, dem er vertraut hatte. Nistet sich ein. Tröstet seine Witwe. Besucht ihn im Krankenhaus. Ißt mit ihm und sagt nichts. Hat nicht den Mumm, ihm in die Augen zu schauen und zu sagen: Übrigens, damit ich es nicht vergesse - ich fick jetzt deine Alte.
    »Wie lange geht das schon?«
    Grazia stemmte sich aus ihrem Stuhl und kam hinter der Verkaufstheke hervor. »Nicht lange genug und hoffentlich noch lange.« Sie drohte ihm mit der flachen Hand. »Und wehe, du läßt die beiden nicht in Ruhe!«
    Fabio ging hinaus.
    »Hast du gehört!« rief Grazia ihm nach. Dann drehte sie sich zur Verkäuferin. »Uomini«, schnaubte sie.
    Fabio saß vor seinem Powerbook. Er hatte Lucas' CD mit der Datensicherung eingelegt und machte Inventar.
    Die Ordner und Dokumente entsprachen im wesentlichen dem Bestand auf seiner Festplatte. Das überraschte ihn nicht, denn er hatte die Daten jeweils routinemäßig abgeglichen.
    Er versuchte sich auf den Bildschirm zu konzentrieren. Aber immer wieder tauchte das Bild von Lucas und Norina vor ihm auf. Die Selbstverständlichkeit, mit der er den Arm um sie gelegt und sie es geduldet hatte. Wie ein altes, vertrautes Paar.
    Er hatte beiden eine Nachricht auf dem Beantworter hinterlassen.
    Ihr: »Ich habe dich mit Lucas gesehen. Jetzt verstehe ich.« Ihm: »Sauhund!«
    Es war drückend heiß in der Wohnung. Die Balkontür war offen, die Sonne schien auf den Sonnenstore. Vom Spielplatz drang Kindergeschrei herauf. Dort stand seit heute ein aufblasbares Bassin.
    Fabio prüfte das Änderungsdatum seiner elektronischen Agenda. Auch die Datei auf der CD trug das Datum des 5. Juni. Mehr als zwei Wochen vor dem Unfall.
    Am 21. Juni, an dem Tag, als er ins Krankenhaus eingeliefert wurde, stand kein Eintrag. Auch die Tage davor waren seltsam leer. Die üblichen Fußballtrainings an den Montagen um siebzehn Uhr, zweimal Kino mit M, ein paar Sitzungstermine in der Redaktion. Am 21. und am 28. Mai, beides Montage, jeweils um halb eins, stand Fredi, Bertini.
    Das Bertini war der teuerste Italiener der Stadt, ein Lokal, das sich Fabio nur zu sehr besonderen Gelegenheiten leisten konnte. Einen Fredi kannte er nicht. Außer Fredi Keller, seinen alten Schulfreund. Um ihn konnte es sich nicht handeln. Ihre Wege hatten sich getrennt, als sie etwa

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