siebzehn waren. Fredi hatte das Gymnasium aufgegeben, weil er eines Tages zur Einsicht kam, ein Studium zu absolvieren, um danach einen Beruf zu ergreifen, mit dem man Geld verdienen könne, sei ihm zu umständlich. Es sei effizienter, Geldve rdienen zu seinem Beruf zu machen. Den übte er seither aus. Mit beachtlichem Erfolg, wie Fabio gehört hatte. Gesehen hatte er Fredi seit bald zehn Jahren nicht mehr. Ihre Welten waren zu verschieden.
Daß er sich mit Fredi Keller zweimal zum Essen getroffen haben sollte, schien ihm mehr als unwahrscheinlich. Das einzige, was ihm zu denken gab, war die Wahl des Lokals. Das Bertini könnte auf Fredis Linie liegen.
Das Telefon klingelte. Fabio ließ es lange läuten, bis er auf die Idee kam, der Anruf könnte für ihn sein. So fremd fühlte er sich in Marlens Wohnung. Als er endlich den Hörer abhob und sich meldete - »Ja?« schien ihm die neutralste Form -, war der Anrufer so überrascht, daß es ihm einen Moment die Sprache verschlug. »Herr Rossi?« fragte er schließlich.
»Ja.«
»Stadtpolizei, Wachtmeister Tanner. Wie geht es Ihnen?«
»Weshalb interessiert das die Stadtpolizei?«
»Ich untersuche Ihren Fall.«
»Ach so. Haben Sie etwas herausgefunden?«
»Ich brauchte Ihre Aussage. Doktor Berthod meint, Sie seien vernehmungsfähig. Stimmt das?«
»Ich weiß nicht, ob ich Ihnen helfen kann. Ich erinnere mich an nichts.«
»Das ist auch eine Aussage. Hätten Sie morgen Zeit? Ich hätte das gern vom Tisch.«
Hatte er morgen Zeit? Fabio wußte es nicht. »Ich weiß nicht«, sagte Fabio.
»Ob Sie mo rgen Zeit haben?«
»Ich habe meine Agenda verlegt. Kann ich Sie zurückrufen?«
Der Polizist gab ihm eine Nummer. Fabio notierte sie auf seinem Stenoblock.
Er legte auf und konzentrierte sich wieder auf die Einträge in seiner Agenda. Außer dem geheimnisvollen Fredi gab sie nicht viel her für die Rekonstruktion seiner jüngsten Vergangenheit. Vielleicht war sein E-Mail-Briefkasten ergiebiger.
Die jüngste elektronische Nachricht stammte vom 10. Juni. Sie trug den Betreff »Training« und den Absender
[email protected] und lautete: Entschuldige mich beim Training, bleibe einen Tag länger. Herzlich Lucas.
Herzlich Lucas!
Davor gab es ein paar Werbesendungen, eine Bestellungsbestätigung einer Buchhandlung, eine elektronische Postkarte und ein paar interne Redaktionsmitteilungen. Die älteste trug das Datum vom 31. Mai. Das war plausibel, denn Fabio hatte sich angewöhnt, an jedem Monatsletzten seine Mails zu löschen.
Das Datum der jüngsten Nachricht hingegen war seltsam. Fabio war zwar kein besonders fleißiger E-Mail-Schreiber, aber daß er zehn Tage kein Mail bekommen hatte, war unmöglich. Er öffnete den Ordner mit den versandten Nachrichten. Die jüngste stammte ebenfalls vom 10. Juni und ging an
[email protected]. Sie lautete: Bei Deiner Technik brauchst Du jedes Training. Herzlich Fabio.
Herzlich Fabio!
Die einzige Erklärung war, daß er seit dem 10. Juni seine Post nicht mehr heruntergeladen hatte. Das war zwar unwahrscheinlich, aber er hatte auch andere unwahrscheinliche Dinge getan in diesen Wochen. Er zog das Kabel aus dem Telefon, schloß es an sein Powerbook und startete sein Internetprogramm.
Die kurze Folge der Wahltöne, das Krächzen und Rauschen des Trägertons und die plötzliche Stille, die bedeutete, daß die Verbindung zustande gekommen war. Der Computer meldete, daß er mit achtundvierzigtausend Bit pro Sekunde kommuniziere und die Zugangsberechtigung prüfe.
»Prüfung fehlgeschlagen«, stand plötzlich auf dem Bildschirm. Fabio versuchte es erneut. Mit dem gleichen Resultat.
Als die Verbindung beim dritten Mal nicht zustande kam, wußte er: Man hatte seinen Zugang zum Verlagsserver gesperrt. Sein Paßwort war nicht mehr gültig. Auch diese Verbindung zu den entscheidendsten Wochen seines Lebens war gekappt.
Fabio schaltete den Computer aus und suchte nach einer Zigarette. Er fand ein Päckchen im Küchenschrank, in einem Fach, das als Hausbar diente. Eine Flasche Campari, ein Gin, ein Whisky und ein Kirsch. Er war versucht, sich einen Campari einzuschenken, begnügte sich aber mit einer Zigarette. Er setzte sich auf den Balkon und versuchte, an nichts zu denken. Aber der Lärm der badenden Kinder ging ihm auf die Nerven. Er ging zurück ins Zimmer und schloß die Balkontür.
Er duschte und schlang, ohne sich abzutrocknen, das Badetuch um die Hüften. Die Nässe auf der Haut brachte etwas Kühlung.
Der Schlüssel drehte sich im