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Ein perfekter Freund

Ein perfekter Freund

Titel: Ein perfekter Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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nie. Im Krankenhaus hast du in meiner Gegenwart zum ersten Mal ihren Namen ausgesprochen.«
    »Und du hattest keine Ahnung, daß ich eine feste Beziehung hatte?«
    »Erst als du deine Tasche wieder mitnahmst.«
    »Wann war das?«
    Marlen schaute in ihre Agenda. »Am Dienstag. Ich hatte dir ein Gespräch vermittelt mit Doktor Mark, unserem leitenden Lebensmittelingenieur.«
    »Ein Gespräch worüber?«
    »Lebensmittel. Doktor Mark kann dir alles über unsere Produktpalette sagen. Die heutige und die zukünftige.«
    »Davon steht nichts in meiner Agenda.«
    »Dienstag, neun Uhr. Du bist mit mir ins Büro gefahren. Hast deine Sachen gepackt und die Tasche mitgenommen. Am Abend hatten wir uns verabredet. Aber du hast abgesagt.«
    »Mit welcher Begründung?«
    »Arbeit. Wie am nächsten Tag. Und am übernächsten. Dann dachte ich, jetzt ist es vorbei.«
    »War es aber nicht.«
    »Nicht vorbei. Aber anders. Ich war deine heimliche Affäre.«
    »Habe ich das gesagt?«
    »Das war nicht nötig. Wir haben uns nur noch sporadisch getroffen. Nie bist du über Nacht geblieben. Nie gingen wir in Lokale, wo deine Kollegen und Freunde verkehrten. Außer Fredi, natürlich.«
    »Fredi?«
    Marlen lachte. »An Fredi müßtest du dich eigentlich erinnern. Den hast du lange vor dem achten Mai gekannt. Fredi Keller.«
    »Mit Fredi Keller habe ich seit Jahren keinen Kontakt.«
    »Als ich dich kennenlernte, wart ihr die dicksten Freunde.«
    Kurz nach ein Uhr klappte Fabio sein Ringheft zu und verstaute es in der Korpusschublade. Er hatte mehr Fragen als Antworten gefunden.
    Es begann schon zu dämmern, als sie die Versuche aufgaben, dem Fabio jener ersten Nächte wenigstens körperlich etwas näherzukommen.
    Am nächsten Morgen holte Fabio sein Rad aus der Tiefgarage. Er hatte sich im letzten Sommer ein englisches Hybrid-Bike geleistet, einen sehr eleganten Kompromiß zwischen einem Mountain und einem City-Bike. Der Rahmen war aus silberfarbenem Aluminium, Lenker und Sattel hydraulisch gefedert. Es besaß keinen Gepäckträger, weshalb Fabio meistens mit seiner Umhängetasche unterwegs war.
    Er fuhr die Rampe zur Garagenausfahrt hinauf und bog in den Amselweg ein. Nach knapp hundert Metern mußte er sich eingestehen, daß er auf die Therapeutin hätte hören sollen. Er fühlte sich unsicher. Er, der auf dem Fahrrad gesessen hatte, bevor er richtig gehen konnte, fuhr plötzlich, als ob er jeden Moment umkippen könnte. Er, der sich früher durch die Kolonnen geschlängelt hatte wie ein Fahrradkurier, zirkelte jetzt übervorsichtig an den geparkten Autos vorbei, als ob sie ihn jederzeit anspringen könnten. Er erwog, umzudrehen und das Tram zu nehmen. Aber das ließ sein Stolz dann doch nicht zu.
    Er kam zehn Minuten zu spät zu seinem ersten Krafttraining. Sein persönlicher Trainer nannte sich Jay, ein früherer Wettkampfname, wie Fabio vermutete. »Du nennst mich Jay, ich nenn dich Fabio, im Kraftraum siezt sich niemand.«
    Jay hatte einen Körper wie ein junger Gladiator und ein Gesicht wie ein alter Bergbauer. Er überging die Verspätung ostentativ vorwurfslos und begann sofort mit einem leichten Aufwärm und Stretchingprogramm. »Die Übungen findest du auf deinem persönlichen Kontrollblatt. Du kommst ein wenig früher und machst sie selbständig, so beginnen wir das Training warm und gewinnen Zeit.«
    Danach befahl er Fabio, sich bis auf die Unterhose auszuziehen und auf die Waage zu stellen. Er vermaß ihn mit der Routine eines Herrenschneiders und übertrug die Daten auf ein Formular mit der Skizze eines nackten Mannes.
    »Schwimmer?« fragte er kennerhaft.
    »Ein wenig«, antwortete Fabio.
    Den Rest der Stunde verbrachte Fabio an Kraftgeräten, Hantelbänken, Ba uch und Rückentrainern. Jay notierte sich Gewichte und Anzahl der geschafften Übungen. Bis zum nächsten Termin würde er ihm sein persönliches Trainingsprogramm zusammenstellen, kündigte er an.
    Er entließ Fabio mit der Bemerkung: »Habe schon Schlimmeres gesehen.«
    Fabios Kugelschreiber zitterte in der Hand. Leute, die schreiben, sollten keine Hanteln stemmen, dachte er. Er saß an einem Tischchen vor dem Cafe Hauser. Alle anderen Tische waren schon für das Mittagessen gedeckt. Die Serviertochter hatte Fabio den Platz nur überlassen, weil er ihr versprochen hatte, ihn Punkt halb zwölf zu räumen. Es blieben ihm noch zehn Minuten.
    Er hatte seine neue Agenda vor sich aufgeschlagen und notierte sich die Quellen, aus denen er mehr über die fünfzig Tage erfahren

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