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Ein perfekter Freund

Ein perfekter Freund

Titel: Ein perfekter Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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Schloß. Marlen betrat die Wohnung. »Uff, was für ein Tag!« stöhnte sie.
    Fabio blieb stumm. Er stand auf, nahm ihr die Tasche aus der Hand, führte sie zum Sofa und hob ihr Kleid.
    »Was war das?« fragte Marlen.
    »Sex.« Fabio war dabei, seine Hose anzuziehen. Marlen saß auf dem Sofa, die Beine angezogen, die Arme um die Knie verschränkt, den Kopf auf die rechte Schulter gelegt. Sie trug immer noch ihr Kleid.
    »Ist etwas passiert?«
    Fabio schüttelte den Kopf. Aber später, als sie frisch geduscht vor einer großen Schüssel Salat, Brot und gekochtem Schinken auf dem Balkon saßen, fragte er: »Wußtest du das von Norina und Lucas?«
    Marlen nickte.
    »Warum hast du mir nichts gesagt?«
    »Es war an Lucas, es dir zu sagen.«
    »Dazu war er zu feige«, sagte Fabio verächtlich.
    »Für ihn ist es auch nicht einfach. Versetz dich in seine Lage.«
    »Ich kann mich nicht in seine Lage versetzen. Frauen von Freunden sind für mich tabu.«
    Marlen legte eine Hand auf seinen Arm. »Norina war nicht mehr deine Frau.«
    Fabio zog den Arm weg. »Auch Exfrauen sind tabu.« Er stocherte schweigend in seinem Salat.
    »Iß etwas Schinken. Ich habe ihn für dich gekauft. Du mußt zunehmen.«
    Fabio stand auf und schrie: »Ich fresse keinen verdammten gekochten Schinken! Ich habe nie verdammten gekochten Schinken gefressen!«
    Marlen verließ den Tisch, rannte ins Schlafzimmer und schloß die Tür. Fabio hörte sie schluchzen. Er stürmte aus der Wohnung und schlug die Tür hinter sich zu.
    Der Amselweg lag in der Dämmerung. Es war ein wenig kühler geworden. Zwei Buben kickten einen Ball gegen ein Garagentor. In der Nähe spielten ein paar Mädchen Gummitwist. In den Gärten zischelten die Rasensprenger. Von irgendwoher wehte der Geruch von Holzkohlenanzündern herüber.
    Fabio hatte die Fäuste in die Hosentaschen versenkt und den Blick auf seine Tennisschuhe gerichtet. Es begann ihm schon leid zu tun. Er war immer aufbrausend gewesen. Italiener und rothaarig, sagte seine Mutter, das gibt keine Lämmer.
    Marlen hatte nicht unrecht. Es war bestimmt nicht einfach für die, deren Uhr nicht fünfzig Tage lang stehengeblieben war. Aber bei allem Verständnis für die anderen: Am schwierigsten war es für ihn.
    Vor einer Garageneinfahrt spritzte ein dünner Mann in einer kleinen Badehose einen blauen Toyota ab. »Guten Abend« , sagte er nachdrücklich, als Fabio vorbeiging. »Abend«, brummte Fabio.
    So weit war es mit ihm gekommen: Er wohnte in einer Straße, in der die Leute abends ihre Autos wuschen.
    Wenn er ehrlich war, stimmte die Sache mit den Frauen von Freunden nicht ganz. Es hatte, lange her zwar, Fälle gegeben, in denen diese nicht absolut tabu waren.
    Als er in die Wohnung zurückkam, wusch Marlen das Geschirr. Fabio nahm das Küchentuch und trocknete ab. »Es tut mir leid«, sagte er.
    »Mir auch.«
    Sie legten die Arme umeinander und standen eine Weile so da. Er mit dem feuchten Küchentuch, sie mit den Gummihandschuhen voller Schaum.
    Später, wieder auf dem Balkon, keine Kerze, nur der Vollmond und die Glutpunkte ihrer Zigaretten, fragte Fabio:
    »Wußte ich es?«
    »Norina und Lucas?« Er nickte.
    Marlen hob die Schultern. »Du hast nie mit mir über Norina gesprochen.«
    Eine Frauenstimme rief: »E- li-a! Va-ne-ssa!«
    »Du führst nicht zufällig Tagebuch?«
    »Nur eine Agenda.« Marlen lächelte. »Aber ich erinnere mich ganz gut an die letzten Wochen.«
    »Ich muß wissen, was in den fünfzig Tagen passiert ist. Kannst du mir helfen?«
    »Natürlich. Gerne. Sehr, sehr gerne.«
    Die Stimme rief wieder: »E- li-a! Va-ne-ssa!« Diesmal etwas ungeduldig.

7
    An Detektivwachtmeister Tanner war alles groß: seine Hände, seine Schuhe, sein Körper, sein Kopf, seine Nase, sein Mund, sogar seine Frisur. Er begrüßte Fabio mit dem behutsamen Händedruck schüchterner großer Männer und bot ihm einen Stuhl an seinem kleinen Schreibtisch an.
    Fabio fragte sich, ob es nicht ein Handicap für einen Detektiv darstellte, aus jeder Menschenansammlung um mindestens einen Kopf herauszuragen. Dazu kam, daß Wachtmeister Tanner an einem nervösen Tick litt. Er zwinkerte mit dem rechten Auge. Zuerst dachte Fabio, es handle sich um das Zwinkern, mit denen furchteinflößende Erscheinungen - Sankt Nikolaus oder der Räuber Hotzenplotz - kleinen Kindern die Angst nehmen wollen. Vielleicht war es das auch einmal gewesen. Aber inzwischen hatte sich das Zwinkern verselbständigt. Es zwinkerte wohl auch, wenn er einen

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