Ein perfektes Leben
ich ein wirklicher Schriftsteller sein würde. Der Dünne und Josefina freuten sich mit mir, und der Hasenzahn platzte vor Neid. Ich wurde veröffentlicht! Außerdem erschienen in der Nullnummer zwei Gedichte vom Hinkefuß – wer hat, der hat –, eins von der Freundin vom Hinkefuß – wie gesagt –, eine Erzählung von Pancho, dem schwulen Schwarzen, von Adita eine Kritik der Aufführung der Theatergruppe, eine weitere Erzählung von Carmita und ein Editorial von Olguita zur Nullnummer von La Viboreña, der »Zeitschrift der Literaturwerkstatt Jose Martí der Oberstufe René O. Reiné«, so der Untertitel. Was für eine Aufregung!
Die Zeitschrift sollte einen Umfang von zehn Seiten haben. Der Hinkefuß besorgte tausend Blatt Papier, sodass hundert Exemplare gedruckt werden konnten. Olguita sprach mit der Schulleitung wegen Drucklegung und Verteilung, und ich träumte jede Nacht davon, La Viboreña in den Händen zu halten und zu wissen, dass ich ein richtiger Schriftsteller war. In der Nacht vor der Fertigstellung sortierten wir die Seiten und hefteten sie zusammen, und am nächsten Morgen standen wir am Schuleingang und verteilten die Exemplare. Die Hinkefuß krempelte die Ärmel nicht hoch, sodass er aussah wie ein Kellner, und unsere Literaturlehrerin Olguita sah uns von der Treppe aus zu. Sie war stolz und sehr glücklich. Das letzte Mal, dass ich sie lachen sah.
Am nächsten Tag wurden wir vom Sekretär um zwei Uhr ins Direktionszimmer zitiert. Wir fühlten uns so sehr als Schriftsteller und waren so naiv, dass wir damit rechneten, Glückwünsche und Belobigungsurkunden oder andere Zeichen der Anerkennung für unsere so bahnbrechende Zeitschrift entgegenzunehmen. Der Direktor forderte uns auf, Platz zu nehmen. Anwesend waren die Fachleiterin für Spanisch, die nie die Werkstatt besucht hatte, die Sekretärin der Parteijugend und Rafael Morín, der schwer atmete, so als leide er an Asthma.
Der Direktor, der im darauf folgenden Jahr wegen des ›Water-School-Skandals‹ nicht mehr Direktor sein würde, ergriff das Wort. Was der Spruch in der Zeitschrift heißen solle, »der Kommunismus wird ein Aspirin sein, so groß wie die Sonne«, ob der Sozialismus etwa Kopfschmerzen habe? Was wolle die Genossin Ada Vélez mit ihrer Kritik des Theaterstücks über die politischen Gefangenen in Chile bezwecken, versuche sie die Bemühungen der Theatergruppe zunichte zu machen und die Botschaft des Stücks zu zerstören? Warum handelten alle, aber auch alle Gedichte in der Zeitschrift von der Liebe, während nicht ein einziges den Erfolgen der Revolution, dem Leben eines Revolutionshelden oder auch dem Vaterland gewidmet sei? Warum habe die Erzählung des Genossen Conde die Religion zum Thema und vermeide eine klare Stellungnahme gegen die Kirche und ihre weltfremde, rückschrittliche Lehre? Und vor allem, so sagte er, erwecke das Ganze den Eindruck, als wären wir betrunken gewesen, und – er baute sich vor der dünnen Carmita auf, die Ärmste zitterte am ganzen Körper, während die offiziellen Vertreter zustimmend nickten – warum werde eine von der Genossin Carmen Sendán verfasste Erzählung veröffentlicht, die einen Selbstmord aus Liebe zum Thema habe? (Er sagte »Thema«, nicht »Gegenstand«.) Ist das vielleicht das Bild, rief er, das wir von der heutigen Jugend Kubas zeichnen? Ist das das Beispiel, das wir geben wollen, anstatt die Reinheit und die Hingabe hervorzuheben, die Opferbereitschaft, die die kommenden Generationen beherrschen muss …? Und dann ging die Post ab.
Olguita sprang auf, hochrot im Gesicht. Erlauben Sie, dass ich Sie unterbreche, Genosse Direktor, sagte sie und sah zur Fachleiterin hinüber. Die jedoch wich ihrem Blick aus und fing an, sich die Fingernägel zu säubern. Ich habe Ihnen einiges dazu zu sagen, sagte Olguita, und sie sagte dem Direktor eine ganze Menge. Es sei unfair, dass sie erst jetzt vom Gegenstand dieser Zusammenkunft erfahre (sie sagte »Gegenstand«, nicht »Thema« ), sie sei ganz und gar nicht einverstanden mit dieser Vorgehensweise, die sehr an die Inquisition erinnere; sie verstehe nicht, wie es möglich sei, den Bemühungen und Initiativen der Schüler mit so viel Unverständnis zu begegnen, nur politische Steinzeitmenschen könnten die Beiträge in der Zeitschrift auf diese Weise interpretieren. Und da ich sehe, fuhr sie fort, dass nach diesen Beschuldigungen und dieser stalinistischen Betrachtungsweise, die Sie vertreten, kein Dialog möglich ist und dass die
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