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Ein perfektes Leben

Ein perfektes Leben

Titel: Ein perfektes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonardo Padura
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Sargento, hab ich Ihnen ja schon gesagt, bei Rafael ist alles in Ordnung, bestens / Und hat er viele Frauen? / Wieso viele Frauen? Wer hat Ihnen das denn erzählt, Sargento? / Niemand, ich möchte herausfinden, wo Rafael Morín sich aufhält, also, hat er viele Frauen? / Nein, über sein Privatleben weiß ich nichts … / Aber Sie sind doch Freunde, oder nicht? / Doch, doch, das sind wir, aber in erster Linie sind wir Arbeitskollegen, verstehen Sie? Gelegentlich bin ich bei ihm zu Hause und er bei mir, mehr nicht / Hat irgendjemand in der Firma was gegen ihn? / In welchem Sinne? Jemand, der ihm schaden will oder so? / Ja, genau in diesem Sinne / Nein, ich glaube nicht, es wird wohl immer irgendeinen Neider geben, einen, der sich übergangen fühlt, davon gibts mehr als Spatzen auf den Dächern von Havanna, leider, aber Rafael gehört nicht zu denen, die sich Feinde machen, zumindest nicht in der Firma, und da kenne ich ihn sehr gut / Wer ist José Manuel Dapena? / Ach ja, Dapena, der Geschäftsmann aus Spanien / In welcher Beziehung steht er zu Rafael? / Nun, lassen Sie es mich erklären, Dapena ist im Schiffsbau tätig, in Vigo, wir haben einige Importgeschäfte mit ihm gemacht, ansonsten hat er weniger mit uns zu tun, mehr mit denen vom Bereich Fischfang / Und was hat er auf der Party gemacht? / Auf der Party? Nun, er war eingeladen / Von wem? / Vom Gastgeber natürlich, nehme ich an / Und wie war das Verhältnis zwischen Rafael und Dapena? / Schauen Sie, um ganz offen zu sprechen, ihr Verhältnis war rein geschäftlicher Natur, aber … ich weiß nicht, ob ich Ihnen das sagen darf … / Sagen Sie es nur / Dapena hat sich einmal an Rafaels Frau rangemacht / Und? Gabs deswegen Probleme? / Nein, nein, das müssen Sie nicht denken, es war nur ein Missverständnis, aber seitdem konnte Rafael ihn nicht mehr leiden / Und Sie? Sind Sie mit dem Spanier befreundet? / Nein, nicht befreundet, ehrlich gesagt, nach der Geschichte mit Tamara war er mir nicht besonders sympathisch, dieser Spanier gehört zu denen, die glauben, nur weil sie Dollars in der Tasche haben, können sie Gottvater spielen / Was war eigentlich mit dem früheren Unternehmensleiter? / Was hat das damit zu tun? … Entschuldigen Sie, Sargento … Nichts weiter, zu viel Dolce Vita, wie man so sagt, hat sich gehen lassen, Sie wissen ja, wie das so ist … / Und Rafael ist nicht so? / Rafael? Nein, überhaupt nicht, im Gegenteil, ganz im Gegenteil, soweit ich das beurteilen kann … / Und wie weit können Sie das beurteilen? / Er ist anders, wollte ich damit sagen / Wann haben Sie die Party verlassen? / Tja … so gegen drei / Sind Sie zusammen weggegangen? / Nein … doch, naja … so gut wie zusammen, als ich ging, verabschiedete er sich gerade vom Vizeminister und … / Und was? / Ach nein, nichts, ich bin gegangen … / Und Sie haben keine Ahnung, was dem Genossen Rafael Morín zugestoßen sein könnte? / Nein, Sargento, nein … «
     
    René Maciques musste so um die fünfzig sein, eine beginnende Glatze haben und eine Brille, wahrscheinlich mit runden Gläsern, wie ein typischer Bibliothekar, dachte El Conde, während er noch den Kassettenrecorder betrachtete. Durch Manolos Verhörtechnik wurde die bürokratische Sprache des Funktionärs deutlich, seine strikte Haltung, dem Vorgesetzten den Rücken zu stärken, bis das Gegenteil bewiesen wurde. Ganz besonders jetzt, da niemand weiß, wo zum Teufel er steckt, dachte er. Doch das Geflecht von Rafaels Beziehungen und Freundschaften, die Aufzeichnung des Gesprächs mit Maciques und seine eigene Unterhaltung mit Tamara führten ihm einen wichtigen Faktor bei der Suche vor Augen: Rafael Morín war noch immer jene untadelige Person von früher. Und er, Mario Conde, durfte nicht vorschnell urteilen. Die Wunden seiner Erinnerung an ihn waren vernarbt und, wie er glaubte, seit langem vergessen. Ein ungelöster Fall dagegen war etwas ganz anderes. Da gab es eine Vorgeschichte, offenkundige Tatsachen, Spuren, Verdachtsmomente, Vermutungen, Geistesblitze, Gewissheiten, vergleichbare statistische Daten, Fingerabdrücke, Dokumente und jede Menge Zufälle; doch nichts war dabei so trügerisch und falsch wie vorschnelle Urteile.
    Er stand auf und ging zum Fenster seines Kabuffs. Mit der Zeit war jener Blick auf die Straße zu seinem Lieblingsbild geworden. Die Blätter der Lorbeerbäume tanzten in der leichten Brise, die, aus dem Norden kommend, dunkle, schwere Wolken heranbrachte. Aus der Kirche kamen zwei Nonnen in

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