Ein plötzlicher Todesfall
war, dass Tessa sich in dieser Nacht mit neuen Ergüssen von Paranoia und Leid herumschlagen müsste.
»Da drauÃen herrscht auf jeden Fall Unmut darüber, wie die Mollisons in der Sache vorgehen«, sagte Colin gerade in dem hochmütigen Ton, den er zuweilen anschlug, wenn er so tat, als wären ihm Angst und Paranoia fremd. »Ich glaube, dass ihre Art und Weise, im Namen des Ortes zu sprechen, den Leuten allmählich auf den Wecker geht. Diesen Eindruck habe ich gewonnen, als ich auf Stimmenfang ging, versteht ihr.«
Wäre nett gewesen, dachte Tessa verbittert, wenn Colin diese gekonnte Verstellung hin und wieder zu ihren Gunsten eingesetzt hätte. Vor langer Zeit hatte es ihr gefallen, Colins einzige Vertraute zu sein, die Einzige, bei der er seine Ãngste abladen konnte, der einzige Quell der Bestärkung. Inzwischen fand sie es nicht mehr schmeichelhaft. Er hatte sie in der Nacht zwischen zwei und halb vier wach gehalten, hatte sich auf der Bettkante vor und zurück gewiegt, gestöhnt und geweint, hatte sich den Tod gewünscht und gesagt, er könne es nicht aushalten, hätte er sich doch nie um den Sitz beworben, er sei ruiniert.
Tessa hörte Fats auf der Treppe und geriet in Alarmbereitschaft, doch ihr Sohn ging an der geöffneten Tür vorbei in die Küche und machte nichts Schlimmeres, als Colin einen vernichtenden Blick zuzuwerfen. Colin hockte vor dem Kamin auf einem Lederpolster, die Knie auf Brusthöhe.
»Vielleicht wird Milesâ Bewerbung um den freien Sitz die Leute richtig gegen ihn aufbringen, sogar die eingefleischten Unterstützer der Mollisons?«, fragte Kay hoffnungsvoll.
»Das mag schon sein.« Colin nickte.
Kay wandte sich an Parminder.
»Meinen Sie, der Gemeinderat wird wirklich dafür stimmen, Bellchapel den Mietvertrag nicht zu verlängern? Ich weiÃ, dass die Leute nervös reagieren, wenn Nadeln fortgeworfen werden und Abhängige in der Nachbarschaft herumlungern, aber die Klinik ist meilenweit entfernt. Warum stört sich Pagford daran?«
»Howard und Aubrey arbeiten Hand in Hand«, erklärte Parminder, deren Gesicht müde aussah, und sie hatte dunkelbraune Ringe unter den Augen. (SchlieÃlich würde sie am nächsten Tag an der Gemeinderatssitzung teilnehmen und gegen Howard Mollison und seine Kumpane ankämpfen müssen, ohne Barry an ihrer Seite zu haben.) »Yarvil muss Einsparungen vornehmen. Wenn Howard die Klinik aus dem günstigen Gebäude wirft, wird der Betrieb für die Stadt viel teurer, und Fawley kann sagen, dass die Kosten gestiegen sind, und somit die Kürzung der Zuschüsse rechtfertigen. Danach wird Fawley alles daransetzen, dass Fields an Yarvil rückübertragen wird.«
Parminder hatte keine Lust auf weitere Erläuterungen und gab vor, die Unterlagen über Bellchapel durchzusehen, die Kay mitgebracht hatte.
Warum mache ich das? , fragte sie sich.
Sie hätte zu Hause bei Vikram sitzen können, der sich mit Jaswant und Rajpal im Fernsehen eine Comedysendung angeschaut hatte, als sie ging. Ihr Gelächter hatte an Parminders Nerven gezerrt. Wann hatte sie zum letzten Mal gelacht? Warum war sie hier, trank grässlichen warmen Wein, kämpfte um eine Klinik, die sie nie in Anspruch nehmen würde, und eine Sozialsiedlung, bewohnt von Menschen, die sie wahrscheinlich nicht ausstehen könnte, wenn sie ihnen begegnete? Sie war nicht Bhai Kanhaiya, der keinen Unterschied zwischen den Seelen von Freund und Feind machte, und sie sah in Howard Mollison nicht das Licht Gottes leuchten. Der Gedanke, dass Howard Mollison verlor, bereitete ihr mehr Freude als der, dass Kinder aus Fields weiterhin die Grundschule St. Thomas besuchten oder dass Menschen aus Fields ihre Abhängigkeit in Bellchapel bekämpften, obwohl sie das alles auf distanzierte, leidenschaftslose Weise durchaus für eine gute Sache hielt.
(Aber sie wusste, warum sie es in Wirklichkeit machte. Sie wollte für Barry gewinnen. Er hatte ihr erzählt, wie er nach St. Thomas gekommen war. Seine Klassenkameraden hatten ihn zum Spielen zu sich nach Hause eingeladen. Er, der mit seiner Mutter und zwei Brüdern in einem Wohnwagen gelebt hatte, war von den sauberen, gemütlichen Häusern in der Hope Street sehr angetan gewesen, und die viktorianischen Villen in der Church Row hatten ihm Ehrfurcht eingeflöÃt. Er hatte sogar an einer Geburtstagsfeier in ebendem kuhgesichtigen
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