Ein plötzlicher Todesfall
hockte neben ihm, ihre Strumpfhose an den Knien zerrissen, umklammerte schluchzend seine Hand und flüsterte seinen Namen.
Montag
I
»Mach dich auf was gefasst«, sagte Miles Mollison. Er stand in der Küche eines der stattlichen Häuser an der Church Row.
Mit dem Anruf hatte er bis halb sieben gewartet. Die Nacht war schlimm gewesen, mit langem Wachsein, unterbrochen von kurzen, unruhigen Schlafphasen. Um vier Uhr hatte er bemerkt, dass seine Frau auch nicht schlief, und sie hatten sich eine Weile leise in der Dunkelheit unterhalten. Als sie über das Erlebte sprachen und dabei versuchten, vage Angst- und Schockgefühle zu zerstreuen, hatte Miles bei dem Gedanken, seinem Vater die Nachricht zu überbringen, eine leichte Erregung verspürt, die in kleinen Wellen durch seinen Körper lief. Er hatte bis sieben Uhr warten wollen, aber die Furcht, jemand könnte ihm zuvorkommen, hatte ihn früher ans Telefon getrieben.
»Was ist denn passiert?« Howards dröhnende Stimme klang leicht blechern. Miles hatte ihn auf laut gestellt, damit Samantha mithören konnte. In ihrem hellrosa Morgenmantel wirkte Samanthas Haut mahagonibraun, und sie hatte das frühe Aufwachen genutzt und noch mehr Selbstbräuner aufgetragen. In der Küche vermischte sich der Geruch nach Instantkaffee mit dem des künstlichen Kokosöls.
»Fairbrother ist tot. Gestern Abend vorm Golfclub zusammengebrochen. Sam und ich waren zum Essen im Birdie.«
»Fairbrother ist tot ?«, brüllte Howard.
Die Betonung deutete darauf hin, dass er irgendeine Veränderung von Barry Fairbrothers Zustand erwartet hatte, aber mit dessen Tod hatte selbst er nicht gerechnet.
»Ist auf dem Parkplatz zusammengebrochen«, wiederholte Miles.
»GroÃer Gott«, sagte Howard. »Der war doch erst Anfang vierzig, oder? GroÃer Gott.«
Howard schnaufte wie ein Pferd. Morgens war er immer kurzatmig. »Und was war es? Das Herz?«
»Irgendwas im Gehirn, vermutet man. Wir sind mit Mary ins Krankenhaus gefahren und â¦Â«
Aber Howard war abgelenkt. Miles und Samantha hörten ihn in den Raum rufen: »Barry Fairbrother! Tot! Miles ist dran!«
Miles und Samantha tranken ihren Kaffee und warteten darauf, dass Howard ihnen wieder seine Aufmerksamkeit schenkte. Samanthas Morgenmantel stand offen und gab den Blick frei auf ihre groÃen Brüste, hochgeschoben durch die auf dem Küchentisch ruhenden Unterarme. Dadurch wirkten sie voller und glatter als im natürlichen Zustand. Die ledrige Haut ihres Ausschnitts legte sich in kleine Falten, die nicht mehr verschwanden. In ihrer Jugend war sie oft im Sonnenstudio gewesen.
»Was?«, fragte Howard, wieder in der Leitung. »Was hast du über das Krankenhaus gesagt?«
»Sam und ich sind im Krankenwagen mitgefahren.« Miles betonte jedes Wort. »Zusammen mit Mary und der Leiche.«
Samantha bemerkte, dass Milesâ zweite Version das hervorhob, was man als den dramatischen Aspekt der Geschichte bezeichnen konnte. Sie konnte es ihm nicht verdenken. Ihre Belohnung dafür, all das Schreckliche durchgemacht zu haben, war das Recht, anderen davon zu erzählen. Sie glaubte nicht, dass sie es je vergessen würde: die heulende Mary, Barrys immer noch halb offene Augen über der maulkorbartigen Sauerstoffmaske, wie Miles und sie versucht hatten, die Miene des Sanitäters zu deuten, die Enge des rüttelnden Krankenwagens, die dunklen Fenster, die panische Angst.
»GroÃer Gott«, sagte Howard zum dritten Mal, ohne auf Shirleys leise Fragen aus dem Hintergrund zu achten, alle Aufmerksamkeit auf Miles gerichtet. »Einfach tot umgefallen auf dem Parkplatz?«
»Jep«, sagte Miles. »Mir war gleich klar, dass da nichts mehr zu machen war.«
Das war seine erste Lüge, und er wandte dabei den Blick von seiner Frau ab. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, wie er seinen schützenden Arm um Marys zitternde Schultern legte: Das wird schon wieder ⦠das wird schon wieder â¦
Aber schlieÃlich, dachte Samantha, um Miles Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, woher sollte man wissen, was eigentlich los war, wenn sie jemandem eine Sauerstoffmaske überzogen und ihm Spritzen setzten? Es hatte ausgesehen, als würden sie Barry retten, und niemand hätte sagen können, ob es half, bis die junge Ãrztin im Krankenhaus auf Mary zugekommen war. Noch immer hatte Samantha Marys nacktes,
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