Ein Pony mit Herz
„Kann er über den Gesundheitszustand der Pferde schon etwas sagen?“
„Die erste Untersuchung hat keine Befunde ergeben, die auf ansteckende Krankheiten schließen lassen. Die Pferde sind ganz einfach zu Tode erschöpft.“
„Kein Wunder! Gar nicht auszudenken, was die armen Kerle haben aushalten müssen! Ich denke, wir laden sie gleich ein, damit sie endlich zur Ruhe kommen. Meine Helfer sind in Groß-Willmsdorf dabei, eine leerstehende Scheune als Notquartier herzurichten.“
Man sah Frau Wohlgemut die Erleichterung darüber an, daß sie die Verantwortung abgeben konnte und die Pferde nun endlich in fachgerechte Hände kamen.
„Hier sind die Papiere. Ob die Angaben stimmen, weiß der Himmel. Einer unserer Helfer kommt aus Polen und hat den Text für uns übersetzt.“
„Und was ist mit dem Transport-Unternehmer?“
„Um den kümmert sich die Polizei. Es sieht so aus, als hätte er nicht nur Schlachtpferde transportiert. Deshalb haben sich die Transportbegleiter auch abgesetzt, sie sind nicht aufzufinden. Die Pferde sind beschlagnahmt, ihre qualvolle Reise endet hier. Zum Glück für die, die diese Strapaze überlebt haben“, berichtete Frau Wohlgemut. „Kommen Sie, wir wollen die Tiere nicht länger warten lassen.“
Draußen hatten die Jungen bereits damit begonnen, die Pferde zu verladen. Tom fuhr den großen LKW, der für den Transport von acht Turnierpferden eingerichtet war. Hans Tiedjen, Hannes und Simon hatten jeder einen Anhänger für jeweils zwei Pferde am Wagen. Das Verladen war nicht so einfach, denn ein Teil der geschwächten Tiere hatte nicht mehr die Kraft, die Rampe hinaufzuklettern. Andere weigerten sich angstvoll, in der Furcht vor neuen Qualen. Da mußte kräftig geschoben und gehoben und unermüdlich liebevoll zugeredet werden.
„Ich könnte heulen!“ sagte Bille leise zu Simon. „Was man unschuldigen Tieren in unserem angeblich so humanen und aufgeklärten Jahrhundert antut! Es sind ja nicht nur die hier, sondern Hunderttausende jedes Jahr, die quer durch Europa geschafft werden, ohne Wasser und Futter, so eingepfercht, daß sie kaum Luft bekommen!“
„Du hast recht“, antwortete Simon bedrückt. „Aber die hier, die sollen es wenigstens gut haben. Auch wenn das nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist.“
Bille ging die Reihe der Pferde ab, die nun in dicker Einstreu, einen Heusack in Reichweite und jedes durch eine halbhohe Stellwand vom Nachbarn getrennt, im großen Transporter standen. Wie verstört sie waren! Stumpf ließen sie alles mit sich geschehen, zeigten keine Reaktion mehr, kein Aufhorchen, kein Blick, kein Scharren oder Wiehern -wie lebende Tote standen sie da. Bille streichelte hier ein Maul, klopfte dort liebevoll einen Hals oder kraulte eine Mähne. Da kam viel Arbeit auf Hannes und sie zu! Diesen gequälten Wesen die Lebensfreude zurückzubringen, würde Wochen, wenn nicht Monate dauern. Wenn es überhaupt jemals gelang, denn diese Pferde hatten Furchtbares erlebt.
„Fertig?“ rief draußen Frau Wohlgemut. „Haben Sie alle fünfzehn untergebracht?“
„Fünfzehn?“ fragte Tom verwundert. „Verzeihung, vierzehn!“
„Nein, nein, es müssen fünfzehn sein. Zwanzig waren es ursprünglich: zwei waren bereits tot, eine Stute mußte sofort getötet werden, zwei sind in die Tierklinik gekommen, bleiben fünfzehn!“
Noch einmal zählte man alle durch, obwohl das eigentlich überflüssig war. Es blieben vierzehn Pferde und Ponys.
„Vielleicht haben die Männer unterwegs schon eins der toten Pferde ausgeladen?“ überlegte Hannes.
„Nein, nein!“ widersprach Frau Wohlgemut. „Ich habe sie hier selbst gezählt. Siebzehn wurden bei uns auf den Hof gebracht. Die alte Stute, die nicht mehr hochkam, wurde noch im Wagen erschossen.“
„Nun, ich fürchte, wir werden das Rätsel im Augenblick nicht lösen können. Daß sich hier auf dem Hof kein weiteres Pferd befindet, ist ja offensichtlich“, sagte Hans Tiedjen. „Wir sollten jetzt keine Zeit mehr verlieren und losfahren.“
„Genau. Sollte ein Ausreißer auftauchen, rufen Sie uns an, ich komme dann noch einmal her“, versprach Tom. „Jetzt ist es Zeit, unsere Schützlinge hier zu Bett zu bringen.“ Langsam rollte der Konvoi über die nächtlich dunklen Landstraßen seinem Ziel entgegen. Keiner sprach. Alle waren sie in Gedanken so mit dem schrecklichen Geschehen beschäftigt, daß keine normale Unterhaltung aufkommen wollte. Nicht einmal Beppo, dessen Mundwerk sonst selten Stillstand,
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