Ein Pony mit Herz
Hinterbein an. Doch das schien den anderen nicht zu stören. Der versuchte jetzt, oberhalb des Drahtzauns an ihn heranzukommen.
Zottel wandte sich dem Fremden zu, um ihn erst einmal genau in Augenschein zu nehmen, ehe er sich auf Diskussionen einließ. Überrascht trat er einen Schritt zurück. Der Störenfried war eine Ponydame, und noch dazu die hübscheste, die er je gesehen hatte! Sie sah ihm ähnlich, nur daß ihr Fell nicht rotweiß, sondern schwarzweiß gefleckt war, was äußerst hübsch aussehen mußte, gesetzt den Fall, jemand erbarmte sich und putzte und wusch die kleine Stute einmal gründlich. Denn jetzt klebte ihr Fell vor Dreck, daß es einen erbarmen konnte. Sogar Blutspuren meinte Zottel zu entdecken. Und mager war sie! Alle Rippen konnte man zählen. Sie mußte fast verhungert sein.
Zu Zottels Erstaunen schien ihr das aber nicht soviel auszumachen. Der Gesichtsausdruck seiner neuen Freundin war wach und neugierig, die kleine Stute wirkte zwar elend, ihre Lebenslust aber war ungebrochen. Ob die Streunerin aus einer Wildpferdeherde entlaufen war? So wie sie aussah, mußte sie von weit herkommen.
Zottel brummte nachdenklich.
Die Stute wieherte leise. Es klang wie eine Aufforderung zum Spiel. Mit kleinen Trippelschritten lief sie am Zaun entlang und forderte Zottel auf, zu ihr zu kommen.
Na schön, sie konnte schließlich nicht wissen, daß man seine Koppel inzwischen absolut ausbruchsicher gemacht hatte. Zu seinem eigenen Schutz, wie ihm Bille beteuert hatte.
Die fremde kleine Stute wollte das offenbar nicht verstehen; sie hörte nicht auf, ihn zu bedrängen, lief ein Stück am Zaun entlang, blieb stehen, schaute ihn auffordernd an, wieherte leise und lief wieder weiter.
Na gut, gehen wir ein bißchen miteinander spazieren, dachte sich Zottel. Etwas Bewegung kann bei dieser Kälte nicht schaden. Er reckte sich, wölbte stolz den Hals und lief an der Innenseite des Zauns neben seiner neuen Freundin her.
So kamen sie bis zum Gatter. Die Stute schaute Zottel auffordernd an. Was sollte das? Sah sie nicht, daß die Verriegelung so gesichert war, daß er sie unmöglich aufschieben konnte?
Wieder sah ihn die Stute auffordernd an.
Zottel brummte ungeduldig und scharrte mit dem Huf. Kapierst du nicht? schien er sagen zu wollen. Ich komme hier nicht raus! Hältst du mich vielleicht für einen Vogel? Oder glaubst du, ich könnte das Gatter aus dem Stand überspringen? Da mußt du dir einen anderen suchen. Ich hasse Springen!
Die Ponystute sah ihn abwartend an. Was wollte sie noch? Irgend etwas schien sie zu erwarten. Zottel ließ niedergeschlagen den Kopf hängen. Ein hoffnungsloser Fall. So standen sie sich reglos gegenüber und sahen sich an.
Plötzlich entstand Bewegung hinter dem Gatter, Zottel traute kaum seinen Augen! Leicht wie eine Feder war die Stute zu Boden gesunken und hatte sich dicht neben dem Zaun niedergelegt. Im ersten Moment glaubte er noch, ein Schwächeanfall hätte sie überwältigt, so daß sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Kein Wunder, so elend und abgemagert wie sie aussah! Doch ehe er sich’s versah, hatte sie ihre Beine angezogen, hatte sich so klein wie möglich gemacht und wie eine Teppichrolle unter dem Gatter hindurch auf die Koppel gewälzt.
Donnerwetter! Daß er auf diesen Trick noch nie gekommen war! Die Kleine hatte Köpfchen, das mußte man ihr lassen. Zottel begrüßte die Schwarzweiß-Gefleckte, die mit einem Sprung wieder auf den Beinen stand, überschwenglich ; liebevoll schnobernd fuhr er ihr über Kopf und Rücken.
Eine Weile waren sie damit beschäftigt, sich erst einmal kennenzulernen. Dann legten sie einen spielerischen Galopp ein, probierten einen kurzen Wettlauf, den die Stute mit zwei Längen gewann, und blieben dann eng aneinandergedrängt stehen, um sich gegenseitig die Kruppe zu benagen. Für Zottel wurde es plötzlich Frühling. Der Himmel schien heller zu werden, ihm wurde warm vor Freude über diesen unerwarteten und überaus sympathischen Besuch. Sie mit lebhaften Trippelschritten umkreisend, zeigte er seiner neuen Weidegefährtin, wo es auf der Koppel noch ein paar schmackhafte Halme gab. Doch um ihren Hunger zu stillen, bedurfte es natürlich anderer Nahrung, das war klar. Und er selbst hätte auch dringend ein paar kräftige Happen gebraucht, denn nichts regte den Appetit so an wie ein unerwartetes Abenteuer. Deshalb beschäftigte ihn nun vor allem eins: Er mußte herausfinden, wie es die Stute geschafft hatte, unter dem
Weitere Kostenlose Bücher